31. Mai 2024 Preventing hot conflicts: human security in times of climate change

Rede von Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze bei der Willy Brandt School of Public Policy (Universität Erfurt)

Standbild aus dem Video der Willy-Brandt-Lecture der Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze
Brandt Lecture 2024 Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (ab Minute 6:50, in englischer Sprache)

Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Studierende,

lassen Sie mich mit einer Frage beginnen: Haben Sie schon einmal Lemminge gesehen? Diese kleinen Nagetiere, mit Mäusen eng verwandt, die zu tausenden auf Wanderung gehen um neue Lebensräume zu finden?

Lemminge sind vor allem für eines bekannt: Man sagt, sie hätten einen kollektiven Selbstmordtrieb. Gemeinsam würden sie von der skandinavischen Hochebene hinunter wandern, um ins Meer zu springen und dort zu ertrinken.

Ein selbstzerstörerisches Verhalten, ganz wider dem natürlichen Überlebenstrieb. Und doch, so verglich es 1985 Willy Brandt, seien Lemminge damit nicht alleine:

Der Mensch tue es ihnen nach. In seinem destruktiven Umgang mit der Natur und Umwelt setze er Kräfte frei, die auf den Selbstmord der Gattung Mensch hinausliefen.

Knapp 40 Jahre ist es her, dass Brandt diese Warnung aussprach. Und trotzdem hat sie nicht an Aktualität eingebüßt.

Der Klimawandel bedroht das Überleben auf unserem Planeten: er lässt Temperaturen steigen, Gletscher schmelzen und ganze Landesteile im Meer versinken. Er raubt den Menschen die Lebensgrundlagen. Und er ist menschengemacht – wobei ein kleiner Teil der Menschheit viel mehr beigetragen hat als der Großteil.

Brandt war – wie in vielen anderen Fragen auch – Vordenker seiner Zeit. Zwar sagte die Wissenschaft schon in den Achtzigern viele der Trends voraus, die wir heute erleben. Aber in der breiten Öffentlichkeit wurde die Zerstörung der Umwelt mit all ihren Folgen für das Klima noch nicht als eine der größten Herausforderungen angesehen.

Ich frage mich, wie Sie darüber denken.

Wer von Ihnen stimmt der Aussage zu, dass der Klimawandel zu den größten Herausforderungen der Menschheit zählt?

Bitte einmal die Hand heben.

Und wer von Ihnen sieht den Klimawandel als DIE größte Herausforderung unserer Zeit?

Das sind ziemlich viele von Ihnen, ich würde sagen: Die überwiegende Mehrheit.

Als Studierende der Willy Brandt School of Public Policy und an diesem Thema interessierte Gäste gehören Sie sicher zu den progressiv Denkenden.

Dennoch kann ich sicher behaupten:

Es herrscht ein Konsens in der Gesellschaft, dass es höchste Zeit ist, gegen den Klimawandel vorzugehen.

Und dabei spreche ich nicht nur von der Gesellschaft in Deutschland, sondern weltweit. Die kenianische Umweltaktivistin Elizabeth Wathuti stellte im Vorlauf der Weltklimakonferenz in 2022 zu Recht die Frage, ob die Menschen in den Industrieländern den Ernst der Lage noch nicht erkannt haben.

Genauso deutlich spricht Marina Silva, die Umweltministerin Brasiliens darüber, warum Brasilien so entschlossen gegen die Entwaldung vorgeht. „Es geht um 1,5 Grad, kein Grad mehr“ sagte sie.

Und richtete damit auch einen Appell an andere Länder, das Ziel des Pariser Klimaabkommens konsequenter zu verfolgen. Endlich mehr dafür zu tun, den weltweiten Temperaturanstieg auf möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu beschränken.

Deshalb ist mein Ausgangspunkt heute: Als internationale Gemeinschaft – als Menschheit – brauchen wir eine ambitionierte Klimapolitik. Wir brauchen sie, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten.

Aber nicht nur, es geht um mehr. Es geht auch um soziale Gerechtigkeit, um Friedenspolitik und um mehr internationale Zusammenarbeit.

Das möchte ich Ihnen anhand von drei Thesen erläutern.

Erstens: Klimapolitik ist mehr als allein die Herausforderung, die Dekarbonisierung zu meistern. Sie ist vor allem auch eine Frage von sozialer Gerechtigkeit. Von weltweiter sozialer Gerechtigkeit.

Denn die Folgen des Klimawandels bedrohen schon jetzt grundlegende Menschenrechte, das Recht auf Leben, auf Gesundheit, Nahrung und Wasser beispielsweise. Vor allem bedroht der Klimawandel diejenigen am meisten, die bereits benachteiligt sind.

Diejenigen, die am wenigsten dazu beigetragen haben.

Diejenigen, die sich am allerwenigsten vor seinen Folgen schützen können. Weil sie nicht über die finanziellen Mittel verfügen, woanders hinzuziehen, wenn immer mehr Stürme, Hitzewellen und Überschwemmungen ihre Heimat bedrohen.

Die keinen Zugang zu klimatisierten Räumen haben, obwohl ihre Heimatregion sich über mehrere Monate im Jahr lebensgefährlich aufheizt, wie zum Beispiel in Indien.

Die sich kein abgefülltes Trinkwasser kaufen können, wenn der Brunnen versalzt, wie in Jordanien. Die hungern, wenn ihre Ernte verdorrt, wie etwa in Äthiopien.

Die Menschen dieser Welt, für die der Klimawandel eine echte Lebensbedrohung ist.

Das Klima der Welt zu schützen heißt vor allem, ihre vulnerabelsten Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen. Klimaschutz ist eine Frage von weltweiter sozialer Gerechtigkeit. Die reichen Länder, die Hauptverursacher des Klimawandels – also auch Deutschland – haben versprochen, dabei solidarisch zu sein.

Klimaschutz ist aber nicht nur an sich sozial gerecht. Er muss auch sozial gerecht umgesetzt werden.

Natürlich braucht es eine schnelle und globale Energiewende, um das Klima zu schützen. Mir geht es darum, dass diese Wende allen Menschen zugutekommt und niemanden zurücklässt.

Wenn Menschen im Zuge von Reformen, wie zum Beispiel dem Ausstieg aus fossilen Brennstoffen, ihren Job und Lebensunterhalt verlieren, brauchen sie Unterstützung und neue Perspektiven.

Gleichermaßen gilt es, die Chancen der Transformation – neue Jobs oder eine dezentrale Energieversorgung beispielsweise – gerade für benachteiligte Menschen zu nutzen.

Menschen wie Gloria Okoampah aus Ghana. Als Solartechnikerin baut sie kleine Systeme, die Menschen in ländlichen Gegenden mit wenig Infrastruktur unterstützen, ihre Häuser zu beleuchten und ihre Handys aufzuladen. Diese Systeme machen Strom relativ günstig in Regionen verfügbar, die oft abgehängt sind. Und sie bieten Menschen wie Gloria trotz der hohen Arbeitslosigkeit im Land eine Einkommensquelle. Sie erwirtschaftet etwas für sich und ihre Familie, und trägt gleichzeitig zum Klimaschutz bei.

Solche Vorhaben unterstützt die deutsche Entwicklungspolitik. Sie hat zum Ziel, eine „Just Transition“ voranzutreiben: eine sozial gerechte Transformation. Das bildet einen Schwerpunkt meines Ministeriums.

Als Entwicklungsministerium setzen wir dafür auf Partnerschaften. Wir wollen Menschen in unsere Partnerländer dabei unterstützen, sich besser an die Folgen des Klimawandels anzupassen und widerstandsfähiger zu werden. Und dabei, Reformen und Innovationen für ihre eigene Klimaneutralität voranzubringen.

Ein Beispiel dieser Partnerschaften sind die Just Energy Transition Partnerships, die so genannten JETPs. Im Rahmen der JETPs arbeiten Deutschland und andere Industrieländer mit Ländern des Globalen Südens zusammen an der Energiewende – also weg von fossiler hin zu klimaneutraler Energie. Bisher machen wir das mit Südafrika, dem Senegal, Vietnam und Indonesien.

Ziel ist es, Investitionen in erneuerbare Energien gleichzeitig zum Treiber für soziale Veränderung zu machen. So zum Beispiel in Südafrika, wo der Kohleausstieg eine energiepolitische und eine soziale Herausforderung ist. Denn wer bisher mit und durch die Kohle seinen Lebensunterhalt verdient hat, braucht neue Arbeitsmöglichkeiten.

Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit unterstützt Partnerländer deshalb dabei, eine nachhaltige Strukturpolitik umzusetzen und gleichzeitig gute Arbeitsplätze und soziale Sicherung auszubauen – die wirtschaftlichen Veränderungen also so zu gestalten, dass sie sozial und ökologisch verträglich sind.

Es geht darum, den Klimawandel abzubremsen und seine Folgen solidarisch zu bewältigen. Damit er weder die Armut verschärft noch bestehende Ungleichheiten zementiert. Damit er keine Konflikte um die ohnehin schon knappen Ressourcen entfacht, sondern Lebensgrundlagen für alle absichert.

Und genau diese Frage der Verteilung von Ressourcen bringt mich zu meiner zweiten These: Eine sozial gerechte Klimapolitik ist Friedenspolitik.

Denn der Klimawandel sorgt dafür, dass unsere Ressourcen schwinden. Er macht die Menschen verwundbar und gefährdet ihre Existenz. Für viele Menschen kann er großes Leid und Unsicherheit bedeuten. Für Gesellschaften als Ganze gefährdet er den sozialen Zusammenhalt und das friedliche Miteinander.

Auch darauf wies Willy Brandt schon in den Achtzigern hin, als er mahnte: „dass sich eine immer engere Verbindung herausstellt ... zwischen Umwelt und Sicherheit.“

Diesen Zusammenhang sieht man ganz deutlich in den Ländern der Sahelregion in Afrika, am südlichen Rand der Sahara. So zum Beispiel in Mali und Niger.

Dort treffen die Wanderwege der Nomad*innen mit ihren Viehherden auf die Hirsefelder der sesshaften Bauer*innen. Lange haben beide Gruppen friedlich miteinander gewirtschaftet, sogar voneinander profitiert.

Aber dieses Gleichgewicht ist unter Druck geraten. Ein entscheidender Faktor ist dabei der Klimawandel. Denn fruchtbare Böden, Weideflächen für Vieh und sauberes Wasser werden immer knapper. Sowohl die Nomad*innen als auch die Bauer*innen brauchen diese Ressourcen dringend, und das verursacht soziale Spannungen.

Die Region zeigt wie unter einem Brennglas, dass der Klimawandel Verteilungskonflikte neu entfacht oder sie verstärkt.

Denn wo Armut, politische Instabilität und gewaltsame Konflikte vorherrschen, ist die Verwundbarkeit am größten. Und bietet Nährboden für weitere Krisentreiber wie etwa den Terrorismus. Klima und Konflikte sind hier eng miteinander verzahnt.

Und das ist nicht nur im Sahel so, sondern in vielen Teilen der Welt.

Der Klimawandel bedroht die menschliche Sicherheit. Und deshalb trägt eine solidarische Klimapolitik dazu bei, einen Grundstein für friedlichere und stabilere Gesellschaften zu legen.

Sie tut das, indem sie Menschen vor den immer drastischeren Folgen des Klimawandels schützt. Indem sie Verteilungskonflikte entschärft. Und indem sie dafür sorgt, dass Länder wie zum Beispiel Deutschland, die zu den Mitverursachern des Klimawandels gehören, Verantwortung übernehmen.

Und damit komme ich zu meiner dritten und letzten These: Für eine erfolgreiche Klimapolitik brauchen wir mehr internationale Zusammenarbeit. Denn globale Herausforderungen verlangen nach globalen Lösungen.

Als internationale Gemeinschaft haben wir das Rahmenwerk hierfür bereits: es sind das Pariser Klimaabkommen und die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Sie schaffen die Grundlagen dafür, den Klimawandel und die anderen großen Bedrohungen für die menschliche Sicherheit gemeinsam anzugehen: Armut, Ungleichheit und gewaltsame Konflikte.

Der Weltklimarat hat in seinem letzten Bericht allerdings deutlich gemacht: Die Weltgemeinschaft tut bei Weitem nicht genug, um die Ziele der Agenda 2030 und des Pariser Abkommens zu erreichen.

Woran fehlt es also?

Eine große Lücke klafft bei der Klimafinanzierung. Die Bedarfe sind immens: nicht nur für die nötigen Reformen zur Minderung des Klimawandels und die Anpassung an seine Folgen. Hinzu kommt der Umgang mit klimabedingten Schäden und Verlusten, die bewältigt werden müssen.

Also beispielsweise der Wiederaufbau von zerstörten Krankenhäusern, Straßen und Schulen nach einem Wirbelsturm. Oder die soziale Absicherung von Bäuerinnen und Bauern, deren Land nach jahrelangen Dürren ausgetrocknet und unwirtlich ist. Oder der Aufbau von Frühwarnsystemen, damit Menschen sich und ihr Vieh vor der nächsten Flutkatastrophe in Sicherheit bringen können.

Die finanziellen Bedarfe sind besonders groß in den Ländern des Globalen Südens. Sie sind häufig am stärksten von den Folgen des Klimawandels betroffen, verfügen aber über weniger Mittel – und sind teils ohnehin bereits hoch verschuldet. Das Paradoxe dabei ist, dass sie – historisch betrachtet – am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben.

Dass wirtschaftlich stärkere Länder einen substantiellen Beitrag zur internationalen Klimafinanzierung leisten, ist ein Gebot der Menschlichkeit.

Es liegt darüber hinaus aber auch in ihrer Verantwortung als große Verursacher von Treibhausgasen. Und es ist zu ihrem eigenen Nutzen, darauf werde ich später noch näher eingehen.

Die Industrieländer haben sich verpflichtet, bis 2025 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz in Niedrigeinkommensländern zu mobilisieren. Ein neues Ziel ab 2025 wird derzeit ausgehandelt.

Deutschland leistet hierzu seinen Beitrag und will dies auch in Zukunft tun.

Diese Mittel fließen zum Beispiel in den Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken sowie in einen neuen Fonds zum Umgang mit klimabedingten Schäden und Verlusten.

Der Globale Schutzschirm wurde gemeinsam von den G7-Staaten und der V20 – der Vulnerablen 20, einer Gruppe aus derzeit 68 vom Klimawandel besonders bedrohten Ländern – ins Leben gerufen.

Der Startschuss fiel auf der Weltklimakonferenz 2022 in Sharm El-Sheikh. Seitdem hat der Schutzschirm seine Arbeit in acht Pionierländern aufgenommen, darunter zum Beispiel Ghana. Dort werden beispielsweise soziale Sicherungssysteme ausgebaut und mit Frühwarnsystemen verknüpft.

Auf der folgenden Weltklimakonferenz in 2023 in Dubai gelang ein weiterer Durchbruch in der internationalen Klima-Diplomatie: ein neuer Fonds zum Umgang mit Schäden und Verlusten wurde etabliert. Ein solches Instrument hatten viele Niedrigeinkommensländer schon lange gefordert.

In Dubai machten die Vereinigten Arabischen Emirate und Deutschland eine gemeinsame Finanzierungszusage von jeweils 100 Millionen US-Dollar und sendeten damit das Signal, dass auch nicht-traditionelle Geberstaaten wie die Vereinigten Arabischen Emirate zur Unterstützung des Fonds aufgerufen sind.

Dennoch – trotz dieser Erfolge – sind die Finanzbedarfe bei Weitem nicht gedeckt.

Hinzu kommt die angespannte Haushaltslage, die nicht nur in Deutschland die politischen und finanziellen Handlungsspielräume scheinbar verengen.

Es braucht also neue und weitere Finanzierungsquellen, um die großen globalen Herausforderungen solidarisch zu bewältigen.

Und deshalb unterstütze ich den Vorschlag Brasiliens für eine globale Milliardärssteuer. Brasilien hat diesen Vorschlag erst jüngst im Rahmen seiner G20- Präsidentschaft eingebracht.

Er sieht vor, dass die etwa 3.000 Milliardär*innen, die es derzeit auf der Welt gibt, einen gerechten Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls tragen.

Aber was genau heißt gerecht?

Gerecht bedeutet für mich zum einen, dass starke Schultern mehr tragen als schwache. Derzeit aber zahlen Superreiche weltweit einen deutlich geringeren Anteil an Steuern relativ zu ihrem Vermögen als durchschnittliche Lohnarbeitende.

Das liegt zum einen daran, dass Superreiche ihr Einkommen eben nicht mit Lohnarbeit verdienen, sondern mit ihrem Vermögen selbst. Und Vermögenseinkommen wird anders – in der Regel niedriger – als Arbeitseinkommen besteuert.

Also jemand, der Dividenden aus Aktien erzielt, zahlt häufig weniger Steuern als jemand, der durch Lohnarbeit sein Geld verdient.

Außerdem können Milliardär*innen ihr Vermögen so strukturieren, dass es – buchhalterisch – kaum besteuerbares Einkommen erzielt und zudem von zahlreichen Steuerbefreiungen profitiert.

Das ist legal, aber ist es gerecht?

Gerecht bedeutet für mich eben auch, dass die gleichen Regeln für alle gelten. Und deshalb ist es so wichtig, das Thema auf die multilaterale Ebene zu heben, ein globales Rahmenwerk auszugestalten. Das macht es Superreichen schwerer, ihr Vermögen dorthin zu verschieben, wo es faktisch kaum besteuert wird.

Der brasilianische Vorschlag sieht vor, dass Milliardär*innen jährlich eine Mindestabgabe in Höhe von zwei Prozent ihres Gesamtvermögens an den Fiskus abführen.

Leisten sie diesen Beitrag bereits über die Einkommenssteuer, gilt die Steuer als abgegolten. Schaffen sie es aber, die Einkommenssteuer zu umgehen, greift die Milliardärssteuer.

Sind zwei Prozent gerecht? Darüber lässt sich sicher streiten – aber sie könnten einen entscheidenden Beitrag leisten.

Und angesichts der Tatsache, dass Superreiche einen um vielfach größeren ökologischen Fußabdruck haben als der Durchschnitt – wir vergleichen hier einen Elefanten mit einer Maus – ist es ungerecht, wenn sie diesen Beitrag nicht leisten.

Was schätzen Sie, wie hoch sind die wirtschaftlichen Schäden, die Extremwetterereignisse im letzten Jahr weltweit verursacht haben?

Bitte noch einmal die Hand heben.

Wer glaubt, dass es weniger als 100 Milliarden US Dollar waren? 100 Milliarden Dollar an Schäden und Verlusten durch Extremwetterereignisse?

Wer denkt, dass es mehr waren?

Mehr als 200 Milliarden?

Ich sehe einige Hände.

Ich gebe Ihnen die Antwort: es waren in etwa 250 Milliarden US Dollar. Und das ist auch die Summe, die eine globale Milliardärssteuer Schätzungen zufolge einbringen könnte.

Damit will ich sagen: Es sind Mittel, die dringend benötigt werden – für die globale Energiewende, den Klimaschutz und die Bekämpfung globaler Ungleichheit. Sie ermöglichen Investitionen in die Zukunft – von denen Superreiche ja auch profitieren.

Womit wir beim Nutzen wären, den ich anfangs erwähnte. Auch reiche Länder haben einen Nutzen davon, in den Klimaschutz in anderen Teilen der Welt zu investieren.

Und hierfür möchte ich ein Konzept bemühen, dass Sie aus ihrem Studium von Public Policy sicher bereits kennen oder kennenlernen werden: nämlich das der öffentlichen Güter.

Mit öffentlichen Gütern verhält es sich so wie mit dem öffentlichen Nahverkehr: es gibt immer auch Trittbrettfahrer. Menschen also, die den öffentlichen Nahverkehr gerne nutzen, aber nicht bereit sind, dafür zu zahlen.

Und genauso ist es mit öffentlichen Gütern wie dem Klimaschutz: Natürlich profitieren alle Länder weltweit davon, wenn Brasilien oder der Kongo den Regenwald schützen. Er ist die Lunge unseres Planeten. Aber welche Länder sind auch bereit, für den Schutz des Regenwaldes zu zahlen?

Meiner Ansicht nach sollte diese Last nicht alleine auf Brasilien und den Kongo fallen. Der Klimaschutz ist ein globales öffentliches Gut und bedarf daher globaler Lösungen.

Die Weltbank als größter Entwicklungsfinancier spielt hierbei eine wichtige Rolle. Sie stellt Ländern des Globalen Südens Mittel für Zukunftsinvestitionen zur Verfügung und beteiligt reiche Länder an der Finanzierung.

Als deutsche Weltbank-Gouverneurin habe ich mich deshalb gemeinsam mit US-Finanzministerin Janet Yellen für eine grundlegende Reform der Weltbank eingesetzt.

Eine Reform, die das Ausleihvolumen der Bank erhöht und zusätzlich Anreize dafür setzt, dass mehr Mittel in globale Aufgaben wie Klimaschutz oder Pandemiebewältigung fließen. In Projekte, die nicht nur einzelnen Ländern zugutekommen, sondern der ganzen Welt.

Diese Reform ist bereits gut vorangeschritten. Die Weltbank hat den Klimaschutz in ihrem Leitbild verankert: „A world free of poverty on a livable planet“. Sie setzt nun gezielt Anreize für Investitionen in globale öffentliche Güter – durch günstigere Zinsen etwa oder längere Kreditlaufzeiten.

Von dieser Reform geht ein starkes Zeichen der Solidarität aus.

Und Solidarität ist genau das, wovon es mehr braucht. In der internationalen Zusammenarbeit, für den Klimaschutz. Schon Willy Brandt sagte das.

Willy Brandt ist vor allem für seine Ostpolitik bekannt, die gegen Ende der Sechzigerjahre die Beziehungen zwischen West- und Ostdeutschland normalisiert hat. Für sein außergewöhnliches Talent, mit diplomatischen Mitteln politische Blockaden zu überwinden, gemeinsame Interessen auszuloten.

Für seine Politik des Friedens und der Versöhnung weltweit bekam er 1971 den Friedensnobelpreis verliehen. Er hinterlässt ein Vermächtnis, das heute – in Zeiten, in denen Russland einen Angriffskrieg auf die Ukraine verübt, in denen überall auf der Welt die Krisen zuzunehmen scheinen – nicht aktueller sein könnte.

Genauso engagiert setzte er sich für respektvolle, gleichberechtigte Süd-Nord Beziehungen ein. Auf Einladung des damaligen Weltbankpräsidenten Robert McNamara übernahm Brandt 1977 den Vorsitz der Unabhängigen Kommission für Entwicklungsfragen, besser bekannt als die Nord-Süd Kommission.

In zwei Berichten sprach sie Empfehlungen aus, die noch heute relevant sind. So zum Beispiel die Forderung nach einem Weltentwicklungsfonds zur Bekämpfung von Armut, Hunger und Ungleichheit.

Brandt war entschieden dagegen, den Umwelt- und Klimaschutz gegen die Süd-Nord Beziehungen auszuspielen. Vielmehr sprach er von beiden als zwei Dimensionen einer Weltinnenpolitik, die es sich zur Aufgabe macht, die gemeinsamen Interessen aller Menschen auf diesem Planeten zu schützen – allen voran eine intakte Umwelt und ein Leben ohne Hunger und Armut. Denn darin sah er die Grundlagen für eine stabile internationale Friedensordnung. Er war ein Vordenker für Global Governance.

Wenn Sie Willy Brandt lesen, werden Sie also merken, dass meine drei Thesen:

Erstens, dass Klimapolitik eine Frage von weltweiter sozialer Gerechtigkeit ist.

Zweitens, dass Klimapolitik Friedenspolitik ist; und

Drittens, dass Klimapolitik mehr internationale Zusammenarbeit braucht,

dass diese Thesen nicht neu sind.

Und trotzdem hochaktuell.

Die Entwicklungspolitik leistet einen wichtigen Beitrag dazu, diese Thesen in die Praxis umzusetzen und Lösungen für die globale Herausforderung des Klimawandels zu finden.

Bevor ich nun zum Schluss komme, möchte ich nochmal auf die Lemminge zu sprechen kommen. Jene kleinen Nagetiere, deren Verhalten Willy Brandt mit dem des Menschen verglich.

Inzwischen weiß die Wissenschaft: Nein, die Lemminge sind nicht von einem kollektiven Selbstmordtrieb gesteuert. Sie wandern zwar in Scharen zum Wasser, aber nicht um sich dort zu ertränken. Sondern vielmehr, weil sie sich alle vier Jahre massenhaft vermehren und sich dann neuen Lebensraum suchen müssen.

Dabei versuchen sie auch, das Wasser zu überqueren. Sie sind gute Schwimmer und vielen gelingt es. Insgesamt hat die Gattung damit sehr effektive Überlebensstrategien.

Warum erzähle ich Ihnen das?

Weil es, wie ich finde, eben doch Grund zur Hoffnung gibt. Trotz der immensen Herausforderungen, die der Klimawandel mit sich bringt. Und trotz der Schäden und Zerstörung, die er bereits heute auslöst.

Denn dass wir als Weltgemeinschaft im Sinne des Klimaschutzes zusammenarbeiten können, haben wir bei der letzten Weltklimakonferenz in Dubai unter Beweis gestellt.

Ja, es wird schwierig. Ja, es ist die weltweit größte Herausforderung, vor der wir Menschen stehen. Es geht um alles. Das wird nicht leicht, aber ich bleibe optimistisch. Ich muss optimistisch sein, wir alle müssen das sein. Ich halte mich dabei eng an die Worte des Philosophen Karl Popper: Es gibt zum Optimismus nämlich keine vernünftige Alternative.