14. Oktober 2022 For a more equal future – Social Protection as a driver for female empowerment

Rede von Entwicklungsministerin Svenja Schulze zum Thema „Soziale Sicherung und feministische Entwicklungspolitik“ bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington D.C. am Rande der Weltbank-Jahrestagung (deutsche Fassung)

Es gilt das gesprochene Wort!

Liebe Cathy Feingold,
lieber Knut Dethlefsen,
sehr geehrte Damen und Herren,

in Krisenzeiten braucht es widerstandsfähige Gesellschaften – weltweit.

Soziale Sicherung unterstützt Menschen vor, während und nach Krisen. Sie hilft, strukturelle Ungleichheiten abzubauen und schafft soziale Sicherheit.

Die Corona-Pandemie hat uns gezeigt: Wo ein soziales Netz aufgespannt ist, kommen alle besser durch die Krise. In Ländern ohne funktionierendes Sicherungssystem waren die Menschen bei der Bewältigung der wirtschaftlichen und sozialen Folgen auf sich allein gestellt. Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung – rund vier Milliarden Menschen – haben keinen Zugang zu sozialer Sicherung. Sie müssen die Risiken, die etwa mit Arbeitslosigkeit, Mutterschaft, Behinderung oder Arbeitsunfällen einhergehen, alleine schultern. Sie haben keinen Anspruch auf Grundsicherung, Kindergeld oder eine Altersrente.

Dabei wissen wir: Soziale Sicherungsnetze können Armut und Hunger deutlich senken. Weltweit tragen Systeme der sozialen Sicherung schon jetzt dazu bei, die extreme Armut um ein Drittel zu mindern. Soziale Sicherung wirkt auch langfristig und vorbeugend. Sie bietet wirtschaftliche Absicherung gegen Risiken und kann insbesondere in Krisensituationen zu mehr Handlungsspielraum beitragen. So kann sich beispielsweise eine Kleinbäuerin darauf verlassen, dass sie im Falle eines Klimaschadens nicht in Armut fällt, sondern vom sozialen Sicherungsnetz aufgefangen wird. Das gibt ihr Planungssicherheit und Zuversicht, zu investieren. Es ermöglicht ihr, ihre Kinder auf die Schule zu schicken. Dem Entstehen eines Armutszirkels kann entgegengewirkt werden. Zudem profitiert die lokale Wirtschaft: Im Schnitt fließen pro Euro Sozialleistung 1,70 Euro in Form von Konsumausgaben und Investitionen zurück in die lokale Wirtschaft.

Ich möchte deshalb – gemeinsam mit der Weltbank und den Vereinten Nationen – den globalen Ausbau von sozialer Sicherung vorantreiben!

Unser Ziel ist, dass die Menschen weltweit in gerechten Gesellschaften leben. Eine Voraussetzung dafür ist ihre Teilhabe an der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung. Das schließt den Zugang zu sozialer Sicherung ein – und der bleibt vor allem Frauen und Mädchen in vielen Ländern weiterhin verwehrt.

Frauen sind häufig mit rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Hürden konfrontiert, die es ihnen erschweren, am Erwerbsleben teilzunehmen. Sie arbeiten häufiger in prekären und informellen Arbeitsverhältnissen. Dadurch erhalten sie nicht nur geringere Löhne, sie werden auch von vielen Sozialleistungen ausgeschlossen. Zum Beispiel Mutterschutz oder Rente. Nicht mal jede zweite Frau weltweit erhält während der Geburt eines Kindes finanzielle Unterstützung; in Afrika sogar nur jede siebte Frau. Das Entwicklungsministerium setzt sich gezielt für Frauen ein, zum Beispiel im Sudan. Dort erhalten Mütter beziehungsweise schwangere Frauen und ihre Kinder in den für die Kindesentwicklung besonders wichtigen ersten 1.000 Tagen Transferzahlungen zum Kauf von Lebensmitteln, Hygieneartikeln und Medikamenten. Oder in Bangladesch, wo die deutsche Entwicklungszusammenarbeit eine Unfallversicherung für die Beschäftigten in der Textilindustrie aufgebaut hat – ein Sektor, in dem zum Großteil Frauen und Mädchen für geringe Löhne arbeiten.

Soziale Sicherung leistet also beides: Sie sichert Lebensrisiken ab und trägt zu einer gleichberechtigten Teilhabe und somit auch zu mehr Geschlechtergerechtigkeit bei. Entscheidend ist dafür, dass soziale Sicherungssysteme die Lebensrealitäten und Bedarfe von Frauen und Mädchen berücksichtigen, unabhängig von ihrem sozialen Status oder Familienstand. Mehr soziale Sicherheit kann Frauen und Mädchen unabhängiger von gesellschaftlichen Rollenvorgaben machen. Sie kann benachteiligende Machtstrukturen – wie etwa die wirtschaftliche Abhängigkeit von einem Ehemann – reduzieren.


Der Auf- und Ausbau sozialer Sicherung ist deshalb ein wesentlicher Bestandteil feministischer Entwicklungspolitik. Und dafür setze ich mich, setzt sich die gesamte deutsche Bundesregierung, ein.

Um Partnerländer bei der krisenfesten und nachhaltigen Gestaltung sozialer Sicherung zu unterstützen, bin ich hier in Washington auch im Gespräch mit der Weltbank, der ILO und weiteren VN-Organisationen sowie bilateralen Partnerinnen und Partnern. Denn Deutschland macht sich für den Aufwuchs der Finanzierung für soziale Sicherung weltweit stark und bringt Pionierländer zusammen. Wir unterstützen den Global Accelerator for Jobs and Social Protection der VN.

Ebenso werden wir künftig verstärkt soziale Sicherung mit der Herausforderung des Klimawandels verknüpfen. Die Etablierung eines weltweiten Schutzschirms gegen Klimarisiken ist ein wichtiger Schritt. Dieser Schutzschirm kann besonders vulnerablen Menschen – darunter viele Frauen – zum Beispiel im Kontext von Dürren und Überschwemmungen helfen. Wir müssen staatliche Sicherungssysteme so weiterentwickeln, dass sie schneller und zielgerichteter Klimarisiken oder Pandemien adressieren. Ohne sozialen Schutz gibt es keinen Schutz vor Krisen!

Sie sehen: Es gibt viel zu tun, um soziale Sicherheit zu erreichen. Ich werde diese Themen bei einer internationalen Konferenz im nächsten Jahr in Berlin mit unseren Partnerländern, globalen Partner*innen und Vertreter*innen aus G7 und G20 vertiefen.

Ich freue mich, nun mit Ihnen darüber zu diskutieren.