3. Juni 2024 Migration gestalten: Die Rolle der internationalen Zusammenarbeit

Rede von Bundesministerin Svenja Schulze bei der SPD-Migrationskonferenz 2024 im Paul-Löbe-Haus in Berlin


Es gilt das gesprochene Wort!

Lieber Rolf,
sehr geehrte Abgeordnete,
meine Damen und Herren,

kein Mensch flieht ohne Grund.

Keine Mutter, kein Vater setzt das eigene Kind in ein Boot, wenn sie nicht fest davon überzeugt sind, dass das sicherer ist als das Land, von dem sie ablegen.

Und kein Mensch verlässt seine Heimat, wenn es dafür nicht einen triftigen Anlass gibt.

Und ein Ziel der Entwicklungspolitik ist es, dazu beizutragen, dass es überall auf der Welt sicherer ist als auf einem Boot im Mittelmeer.

Dafür hat Europa, hat Deutschland eine Verantwortung. Und es ist auch in unser aller Interesse.

Akute Krisen wie etwa in Gaza oder im Sahel haben ihre Wurzeln oft schon lange bevor eben gewaltsame Konflikte ausbrechen.

Und genau da setzt Entwicklungspolitik an: Sie ist vorausschauend.

Sie baut gemeinsamen mit Partnerländern und Akteuren vor Ort Ungleichheiten ab.

Sie schafft Strukturen und stärkt die Krisenprävention. Und damit beugt sie auch Flucht und Vertreibung vor. Und sie reagiert auf neue Krisen.

Denn die Menschen, die vor Konflikten, Kriegen und Menschenrechtsverletzungen fliehen, die ihre Heimat verlassen und woanders neu anfangen müssen – diese Menschen verdienen Schutz.

Das gilt für Olena Mishchenko aus der Ukraine, die vor dem russischen Angriffskrieg nach Berlin geflüchtet ist.

Das gilt für Angie Rodríguez Florez aus Kolumbien, die eine der 115.000 Menschen ist, die 2023 in Deutschland Asyl erhalten haben und nicht aus der Ukraine kommen.

Und es gilt für die Syrerin, die ich im Zaatari-Camp in Jordanien kennengelernt habe. Sie ist eine von 1,3 Millionen Menschen, die allein aus Syrien nach Jordanien geflüchtet sind, und diese Menschen zu schützen, ist vor allem ein Gebot der Menschlichkeit.

Die Bereitschaft für diese Menschlichkeit scheint hier in Deutschland und Europa in einigen Teilen der Gesellschaft immer mehr verloren zu gehen. Und dabei wird wie selbstverständlich von den Ländern im Globalen Süden erwartet, dass sie weltweit die Hauptlast tragen, wenn es um die Aufnahme, wenn es um die Versorgung von Flüchtlingen geht.

Länder wie Jordanien, das einen der höchsten Anteile an Flüchtlingen im Verhältnis zur Bevölkerung weltweit aufweist.

Denn die meisten Menschen, die fliehen müssen, bleiben im eigenen Land oder gehen in Nachbarstaaten.

Und dort brauchen sie ein Dach über dem Kopf. Sie brauchen Wasser, Nahrung. Von Zugang zu Bildung oder sozialer Sicherung ganz zu schweigen.

Sich mit diesen Aufnahmeländern solidarisch zu zeigen und sie bei der Versorgung der Flüchtlinge zu unterstützen, das ist auch unsere Aufgabe in Europa und Deutschland.

Aus Verantwortung.

Aus Menschlichkeit.

Und weil es in unserem eigenen Interesse ist, dass Flüchtlinge in ihrer Region gut versorgt sind, damit keine weiteren Konflikte entstehen.

Damit sie nicht weiterfliehen müssen. Damit sie keinen weiteren Gefahren ausgesetzt werden.

Und dazu leistet die deutsche Entwicklungspolitik einen wichtigen Beitrag.

Sie setzt sich dafür ein, dass Kinder auf der Flucht in die Schule gehen können. Dass die Menschen den Zugang zu lebensnotwendiger Gesundheitsversorgung und sauberem Trinkwasser erhalten.

Und sie stärkt den sozialen Zusammenhalt in den Aufnahmegemeinden. Damit es eben nicht zu weiteren Konflikten kommt.

Mir geht es als Sozialdemokratin beim Flüchtlingsschutz vorrangig um die Menschlichkeit.

Es ist aber kein Widerspruch, hier auch deutsche Eigeninteressen im Blick zu behalten.

Deshalb wundert es mich besonders, dass viele neuerdings so tun, als wenn die Auslagerung von Asylverfahren die einzige Lösung wäre.

Dazu will ich nur drei Punkte für die weitere Diskussion ganz kurz antippen:

Erstens: Es gibt keine Belege dafür, dass wenn Asylsuchende in ein Drittland gebracht werden, deshalb weniger Menschen nach Europa kommen. Oder dass sich deshalb weniger dem Risiko aussetzen, auf dem Mittelmeer zu sterben. Eine abschreckende Wirkung, die sich viele erhoffen, konnte bisher nicht festgestellt werden.

Zweitens: Nicht nur die tatsächliche Wirkung ist fragwürdig, diese Art von nachträglicher Auslagerung von Asylverfahren kostet die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler außerdem sehr viel Geld. Viel mehr, als ein Verfahren im eigenen Land. Das ist mit Blick auf die harten Haushaltsverhandlungen gerade ein gutes Argument.

Schauen Sie sich das Abkommen von Italien mit Albanien an. Es sieht vor, dass Menschen, die auf dem Mittelmeer gerettet werden, direkt vom Rettungsboot aus in Zentren nach Albanien gebracht werden.

Familien, vulnerable Personen sind davon ausgeschlossen – sie sollen weiterhin sofort nach Italien kommen.

Die Zentren in Albanien sollen vom italienischen Staat betrieben werden. Die Asylprüfung soll nach italienischem Recht, mit italienischen Richterinnen und Richtern, stattfinden. Wer Asyl bekommt, darf dann nach Italien.

Alle anderen sollen in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden.

Gelingt das nicht – und wir wissen ja aus eigener Erfahrung in Deutschland, wie schwierig sowas sein kann – kommen auch diese Menschen nach Italien. Das Abkommen sieht jetzt vor, dass die Zentren in Albanien Platz für 3.000 Menschen bieten sollen.

Die Kosten sollen sich auf 650 Millionen Euro für fünf Jahre belaufen – einige Presseberichte gehen sogar von Kosten von über eine Milliarde Euro aus.

Also eine Milliarde Euro für die Asylprüfung von einer verhältnismäßig geringen Anzahl Menschen. Und zwar Menschen, die trotzdem unter Lebensgefahr versucht haben, das Mittelmeer zu überqueren.

Der dritte Punkt sind die vielen rechtlichen Fragen. Deswegen ist es gut, dass Nancy Faeser eine Expertenkommission auf den Weg gebracht hat, die sich das auch unter den rechtlichen Aspekten noch mal sehr genau ansieht.

Erstaunlicherweise spielen diese Argumente – die Frage der Wirkung, hohe Kosten, rechtliche Fragwürdigkeit – aber bei den Unterstützenden von diesen Formen der Asyl-Externalisierung gar keine Rolle.

Dabei gibt es eine ganze Reihe von Alternativen, von denen ich hoffe, dass sie heute hier auf dieser Konferenz diskutiert werden.

Nur sind diese Lösungen eben etwas komplexer und umfassen mehrere Instrumente.

Vor allem sind es Lösungen, die nicht einfach gegen Geld die Verantwortung auf die Länder des Globalen Südens abschieben.

Und damit auf Länder, die bereits jetzt die größte Last bei der Aufnahme, Versorgung und Integration von Flüchtlingen tragen.

Als Entwicklungsministerin ist es mein Ziel, dieses Ungleichgewicht zwischen Hauptaufnahmeländern im Globalen Süden und nördlichen Zielländern zu verringern, anstatt es zusätzlich zu verstärken.

Und es ist mein Ziel, gemeinsam mit unseren Partnerländern Migration so zu gestalten, dass alle Akteure davon profitieren: die Herkunfts-, die Transitländer, die Migrantinnen und Migranten und die Zielländer.

Im Sinne eines dreifachen Gewinns. Denn nur so können wir Lösungen finden, die funktionieren. Und zwar nachhaltig funktionieren.

Und zu diesen Lösungen gehören gute, partnerschaftliche Migrationsabkommen. Abkommen, bei denen es eben nicht nur darum geht, das Partnerland zur Aufnahme von Ausreisepflichtigen zu bewegen, sondern mit denen wir unseren Partnerländern echte Angebote zum Beispiel bei der Arbeitsmigration machen. Joachim Stamp wird gleich dazu mehr berichten können.

Zu diesen Lösungen gehört auch, nationale Asylsysteme in den Erstaufnahmeländern zu stärken.

Zum Beispiel unterstützt Deutschland den Aufbau eines neuen Asyl-Systems in Marokko.

Damit sollen bestehende Regelungen für Flüchtlinge in Marokko verbessert werden, um eben dann den Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, zu Bildung und zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Und das trägt auch dazu bei, dass weniger Menschen über die tödliche Mittelmeeroute nach Spanien und in die EU weiterfliehen.

Und zu diesen Lösungen gehört, mehr reguläre und sichere Flucht- und Migrationswege zu schaffen. Denn nur so kann verhindert werden, dass sich Menschen auf immer gefährlichere Routen und in die Hände von kriminellen Schleusern begeben.

Zum Beispiel eben, indem Deutschland mehr Plätze in Resettlement-Programmen zur Verfügung stellt. Ja, ich finde das gut!

Hier werden Menschen, die in Drittstaaten ausharren, von internationalen Organisationen ausgewählt und kommen dann auf einem sicheren Weg nach Deutschland. So dass kriminelle Schleuser eben nicht daran verdienen.

Im Unterschied zur Asyl-Externalisierung gibt es hier den klaren Beleg, dass damit das Sterben auf dem Mittelmeer verringert werden kann.

Und dann sind da natürlich auch neue Ideen, die wir uns anschauen sollten. Wie etwa die Safe Mobility Offices, die USA, Kanada und Spanien in Südamerika voranbringen.

Dabei handelt es sich um Anlaufstellen für Menschen zum Beispiel aus Venezuela, die in einem anderen südamerikanischen Land gestrandet sind, aber eigentlich in die USA, nach Kanada oder nach Spanien wollen. Menschen wie Anny, die mit ihrem kleinen Sohn in Ecuador war und zu ihrem Mann und ihrem großen Sohn in die USA wollte.

Sie hat sich dann online registriert, wurde beraten und interviewt und konnte ein humanitäres Visum für die USA bekommen.

Der Prozess wird dabei von der UN-Organisation für Migration und vom UN-Flüchtlingskommissariat verantwortet. Noch am Flughafen in Ecuador konnte sie es kaum glauben, dass sie jetzt zu ihrem Mann, zu ihrem Sohn fliegen kann und sich nicht auf die gefährliche Route durch Mexiko begeben muss.

Reguläre Migration beinhaltet natürlich auch, dass Menschen für Jobs oder eine Ausbildung nach Deutschland kommen können. Wie zum Beispiel Amin Tasmy aus Marokko, der als Fachkraft im Bereich Sanitär-Heizung und Klima ausgebildet ist und der seine Qualifikationen über ein Projekt meines Ministeriums anerkennen lassen konnte.

Er hat sein Visum vor zwei Wochen erhalten und er wird zeitnah nach Deutschland ausreisen, um seinen Job bei einem Unternehmen für Kälte- und Klimatechnik in Mannheim anzufangen.

Dass solche Beispiele leider immer noch viel zu selten sind, dazu hat Mahmud Özdemir gerade schon einiges gesagt.

Auch das deutsche Interesse an Arbeitsmigration brauche ich nicht weiter auszuführen, es reichen die Stichworte Fachkräftemangel und Demographie.

Fachkräfte- und Ausbildungsmigration kann aber nur funktionieren, wenn auch die Interessen des Partnerlandes mitgedacht werden.

Und hier muss Deutschland echte Angebote machen, an das Herkunftsland genauso wie an die Menschen.

Konkret heißt das: Weder Brain Drain, noch Brain Waste.

Deutschland darf dem Partnerland nicht einfach die gut ausgebildeten Arbeitskräfte abwerben.

Und in Deutschland müssen wir überlegen, wie wir die Potenziale der Menschen nutzen, anstatt sie unterhalb ihrer Qualifikation geringfügig zu beschäftigen. Oft verhindern unsere strengen Regelungen zur Anerkennung von Berufen genau das.

Entscheidend ist bei vor allen Dingen das Engagement der deutschen Wirtschaft. Denn Unternehmen sind es, die Fachkräfte brauchen.

Und diese Unternehmen müssen sich beteiligen, wenn sie ihr Personalproblem in den Griff kriegen wollen.

Deshalb initiiert das BMZ eine neue Fachkräfte-Allianz mit der Wirtschaft. Ziel ist es, Fachkräfteeinwanderung nach Deutschland im Sinne eines dreifachen Gewinns gemeinsam zu gestalten und gemeinsam auszubauen.

Zum Beispiel, indem sich Unternehmen, Handelskammern, Verbände und Gewerkschaften stärker auch finanziell an der Ausbildung für beide Arbeitsmärkte beteiligen – in Deutschland und in den Herkunftsländern.

Dabei können sie auch von den etablierten Strukturen der Entwicklungspolitik in unseren Partnerländern profitieren – zum Beispiel über unsere Zentren für Migration und Entwicklung in derzeit neun Ländern, die für den deutschen Arbeitsmarkt und auch für deutsche Unternehmen werben.

Also meine Damen und Herren, lassen Sie uns Lösungen finden, die funktionieren. Denn es gibt nicht nur eine Lösung. Lösungen, die menschlich und vernünftig sind. Auch wenn sie nicht einfach sind. Auch wenn man sie erklären muss. Wenn wir gemeinsam und entschlossen handeln, werden wir auch erfolgreich sein.

Jetzt darf ich direkt an Joachim Stamp übergeben, der uns zu den Migrationszentren berichten wird.

Vielen Dank.