1. Juni 2024 Rede der Bundesministerin Svenja Schulze beim 103. Deutschen Katholikentag in Erfurt

Menschenwürdige Globalisierung


Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Dr. Villhauer,
sehr geehrter Herr Prof. Hemel,
liebe Besucherinnen und Besucher des Katholikentags,

„Ich möchte nicht, dass meine Kinder Minenarbeiter werden. Nicht für einen einzigen Tag.“

Das sagt Ghislain Mujinga Kaungu aus der Demokratischen Republik Kongo. Er ist Vater von fünf Kindern und baut im Südosten des Landes mit einfachen Mitteln Kobalt ab. Er und die anderen Arbeiterinnen und Arbeiter dort leben mit der ständigen Angst, dass die Tunnel einstürzen und sie sich verletzen oder sterben.

Doch sie nehmen die gefährliche Arbeit auf sich, damit sie ihre Familien ernähren können. Um an das Kobalt zu kommen, graben sie nur mit Spitzhacken Löcher in den Fels – ohne Schutzkleidung, Helme oder Schuhe. In den Minen, in denen dort im Kleinbergbau Kobalt gewonnen wird, arbeiten auch Kinder und Jugendliche. Sie schleppen Säcke voll mit Erz aus den einsturzgefährdeten Schächten.

Der größte Teil des so geförderten Kobalts wird zum Weiterverarbeiten nach China exportiert. Und von dort gelangt es auch nach Deutschland. Zum Beispiel in Handys, in Laptops oder in den Batterien von Elektroautos.

Das, was Ghislain in der Mine jeden Tag erlebt, hat mit menschenwürdiger Globalisierung nichts zu tun. Im Gegenteil: Seine Geschichte steht für eine Globalisierung, die auf dem Rücken von Millionen, nein Milliarden Menschen besonders in Afrika, Asien und Lateinamerika ausgetragen wird. Eine Globalisierung, die Ungleichheiten immer weiter verschärft. Eine Globalisierung, die unseren Planeten an den Rand einer Klimakrise geführt hat.

Doch was braucht es, um eine menschenwürdige Globalisierung zu erreichen? Eine Globalisierung, die allen Menschen weltweit zugutekommt? Drei Dinge sind aus meiner Sicht zentral: Ein faires internationales Handelssystem, eine gerechte globale Besteuerung und Geschlechtergleichstellung.

Erstens, ein faires Handelssystem. Noch immer kommt es in globalen Lieferketten zu einer Vielzahl von Menschenrechtsverletzungen und Umweltschäden. Ob im Bergbau, in der Landwirtschaft oder in Fabriken: Vielerorts herrschen untragbare Arbeitsbedingungen.

Nicht nur für Ghislain und die anderen Minenarbeiter im Kongo, die in unsicheren Kobalt-Minen ihr Leben aufs Spiel setzen. Sondern auch für Kaffeebäuerinnen in Äthiopien, die von den Handelspreisen für unseren Kaffee nicht leben können und deshalb auch ihre Kinder auf die Plantage schicken. Oder für Näherinnen in Indien, die bis zu 16 Stunden am Tag in unsicheren und beengten Fabriken arbeiten, damit wir in Europa T-Shirts für fünf Euro kaufen können.

Die EU als größter gemeinsamer Wirtschaftsraum der Welt trägt eine besondere Verantwortung, an diesen Zuständen etwas zu ändern. Weil europäische Länder ihren Wohlstand durch den Kolonialismus auf Kosten anderer Länder aufgebaut haben. Und weil die EU heute für über 50 Staaten weltweit der wichtigste Handelspartner ist. Diesen Einfluss müssen wir nutzen.

Das Entwicklungsministerium setzt sich deshalb dafür ein, Menschenrechte, internationale Arbeitsstandards und Klimaschutz zur Grundlage der Handelsbeziehungen der EU zu machen. Zum Beispiel, indem das Verbot von Kinderarbeit oder die Pariser Klimaziele in den EU-Handelsabkommen verankert werden. Oder durch das kürzlich vom EU-Parlament beschlossene Verbot, Produkte auf dem EU-Markt zu verkaufen, die durch Zwangsarbeit hergestellt wurden.

Gute Arbeitsbedingungen und soziale Mindeststandards dürfen keine Frage von Freiwilligkeit sein. Deshalb ist es auch ein wichtiger Schritt, dass die EU letzte Woche – nach langem hin und her – das EU-Lieferkettengesetz beschlossen hat. Das Gesetzt macht großen Unternehmen zukünftig klare Vorgaben zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt entlang ihrer Lieferketten. Gegen Kinder- und Zwangsarbeit, für Arbeits- und Umweltschutz, für Gewerkschaftsrechte, für faire Löhne.

Die EU knüpft damit an das Lieferkettengesetz an, das in Deutschland seit letztem Jahr in Kraft ist. Herzlichen Dank an alle Engagierten aus der Zivilgesellschaft und den Kirchen, die sich lautstark für wirksame Lieferkettengesetze eingesetzt haben. Ihre Stimmen waren in der Debatte sehr wichtig.

Für eine menschenwürdige Globalisierung braucht es aber nicht nur ein faires Handelssystem. Es braucht zweitens eine gerechte globale Besteuerung.

Denn um die Herausforderungen zu bewältigen, vor denen wir als Weltgemeinschaft heute stehen – wie der Klimawandel – braucht es viel Geld. Dabei müssen starke Schultern mehr tragen als schwache. Jede und jeder muss ihren beziehungsweise seinen gerechten Beitrag zur Finanzierung des Gemeinwohls leisten.

Doch das ist bisher nicht der Fall. Professor Hemel hat bereits darüber gesprochen, dass die Ungleichheit weltweit sehr hoch ist. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander. Allein die fünf reichsten Männer der Welt haben ihr Vermögen seit 2020 mehr als verdoppelt.

Das liegt unter anderem daran, dass Superreiche weltweit einen deutlich geringeren Anteil an Steuern zahlen als durchschnittliche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb unterstütze ich den Vorschlag für eine globale Milliardärssteuer, den Brasilien jüngst im Rahmen seiner G20-Präsidentschaft eingebracht hat.

Der Vorschlag sieht vor, dass die etwa 3.000 Milliardärinnen und Milliardäre, die es auf der Welt gibt, jährlich eine Mindestabgabe in Höhe von zwei Prozent ihres Gesamtvermögens an den Fiskus abführen. Dabei soll die Steuer nicht nur in einem Land, sondern weltweit eingeführt werden. Damit Superreiche ihr Vermögen nicht mehr dorthin verschieben können, wo es kaum besteuert wird.

Mit der Steuer ließe sich genug Geld aufbringen, für die globale Energiewende, für den Klimaschutz und für die Bekämpfung von Hunger und Armut.

Doch für eine menschenwürdige Globalisierung braucht es noch eine dritte Säule. Und zwar die gleichberechtigte Teilhabe aller Menschen am gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Leben.

Noch aber werden Frauen und Mädchen weltweit viel zu oft die Vorteile der Globalisierung vorenthalten. Sie sind es, die in der Landwirtschaft oder in Fabriken viele Stunden hart arbeiten, um ihre Familien zu ernähren. Und die gleichzeitig die Kinder großziehen, die Angehörigen pflegen und sich um die alltäglichen Erledigungen kümmern.

Die aber das Land, das sie bewirtschaften, oftmals nicht besitzen dürfen. Oder die keine Kredite erhalten, um ihr Unternehmen voranzubringen.

Diese Art von strukturellen Benachteiligungen und festgefahrenen Rollenbildern versperren Frauen und Mädchen eine gleichberechtigte Teilhabe. Deshalb stelle ich Frauen in den Mittelpunkt meiner Entwicklungspolitik.

Frauen brauchen die gleichen Rechte, die gleichen Ressourcen und die gleiche Repräsentation wie Männer. Nicht nur, weil Frauen es verdienen. Sondern auch, weil die gesamte Gesellschaft davon profitiert. Unzählige Studien zeigen: Wenn Frauen gleichermaßen Verantwortung tragen, gibt es weniger Hunger und Armut. Gesellschaften werden gerechter, widerstandsfähiger und friedlicher.

Meine Damen und Herren,

eine menschenwürdige Globalisierung ist kein Luftschloss, keine Utopie. Mit den richtigen Weichenstellungen lässt sie sich erreichen. Und zwar nicht erst in hundert Jahren, sondern in naher Zukunft.

Dafür setze ich mich mit meiner Entwicklungspolitik ein. Und ich danke allen Engagierten aus der Zivilgesellschaft und aus den Kirchen, die sich ebenfalls dafür einsetzen.

Sie sind das Sprachrohr für die Menschen, die gesellschaftlich benachteiligt sind und denen zu wenig Gehör geschenkt wird. Sie sind Antreiberin der Politik, machen auf Missstände aufmerksam und stoßen Veränderungen an. Das ist unverzichtbar, um eine gerechte und solidarische Welt zu erreichen. Herzlichen Dank.