16. Mai 2023 Um die Globalisierung sozial und ökologisch zu gestalten, braucht es starke Gesetze
Im Amazonas brennt die „grüne Lunge“ des Planeten, Indigene werden aus ihrer Heimat vertrieben. Die Orang-Utans in Südostasien verlieren ihren Lebensraum. Baumfällmaschinen holzen riesige Waldflächen im Kongo-Becken ab. Das alles scheint fernab unseres Alltags in Europa zu geschehen. Doch wir Europäer:innen haben einen großen Anteil an der Zerstörung dieser Wälder: Etwa ein Sechstel der weltweiten Zerstörung von Regenwäldern lässt sich auf die Europäische Union zurückführen, wir sind traurige Nummer zwei direkt nach China.
Um die großen Mengen an Holz und Kautschuk, an Kaffee und Kakao, an Soja und Palmöl anzubauen, die wir tagtäglich verbrauchen, braucht es vor allem Platz. Und für diesen Platz werden überall auf der Welt überlebenswichtige Wälder dem Erdboden gleichgemacht. Mit jedem Supermarktbesuch legen wir ein Stück Regenwaldzerstörung in den Einkaufswagen.
Wir finden, die Verantwortung für diese Zerstörung darf nicht länger alleine bei den Konsument:innen liegen. Es braucht wirksame Gesetze. Gesetze, die verhindern, dass Wälder in diesem Ausmaß gerodet werden. Und damit sind wir nicht alleine. Auf der Weltklimakonferenz in Glasgow haben sich 2021 über 140 Länder zu einem verstärkten Kampf gegen die Regenwaldzerstörung bekannt.
Keine Geschäfte mehr mit Entwaldungsprofiteuren
Deshalb werden diese Woche nach dem Europäischen Parlament auch die EU-Mitgliedstaaten grünes Licht für eine neue EU-Verordnung zum Schutz der Wälder und indigener Waldgemeinschaften geben. Das Prinzip dieser Verordnung ist einfach: Wer Profite auf Kosten der Wälder machen will, darf mit der EU keine Geschäfte mehr machen. Unternehmen müssen nachweisen, dass für den Anbau ihrer Agrarprodukte keine Wälder zerstört wurden. Es ist ein Lieferkettengesetz, das speziell die Wälder in den Blick nimmt.
Dieses Gesetz dient aber nicht nur dem Schutz der Wälder, sondern auch dem Schutz der Menschen. Denn die Zerstörung von Wäldern ist nicht nur eine ökologische Katastrophe, sondern auch eine soziale Tragödie. Viel zu oft werden Menschen aus ihren Wohngebieten vertrieben. Und das nur, damit Unternehmen dort Produkte für den europäischen Markt anbauen können. Deshalb schreibt die Verordnung auch vor, dass Unternehmen ihre Produkte ohne solchen Landraub herstellen müssen.
Die Umsetzung dieser Vorgaben wird für die Produktionsländer nicht einfach. So hat uns zum Beispiel die brasilianische Umweltministerin Marina Silva deutlich gemacht, wie schwierig es für die neue brasilianische Regierung ist, das Thema Regenwaldabholzung überhaupt wieder in den Griff zu bekommen. Unter der Präsidentschaft von Jair Bolsonaro hätte sich die Wirtschaft des Landes vier Jahre lang in eine Richtung entwickelt, die eine immer schnellere Vernichtung des Waldes zur Folge hatte. Jahrelang galt die Ansage: Hauptsache Wertschöpfung, ohne Rücksicht auf Verluste.
Brasilien vor schwieriger Kehrtwende
Das hatte katastrophale Folgen für den brasilianischen Regenwald. Dies gilt es nun wieder einzufangen, denn natürlich darf Wertschöpfung nicht auf Kosten der Umwelt gehen. Ein so großer Tanker wie die brasilianische Wirtschaft lässt sich aber nicht in ein paar Monaten umsteuern. Die neue brasilianische Regierung ist erst ein halbes Jahr im Amt, die EU-Entwaldungsverordnung tritt schon im Juni in Kraft. Uns ist deshalb klar: Das Ziel des Gesetzes ist richtig und die Umsetzung ein politischer Kraftakt – und das nicht nur in Brasilien. Deshalb sind natürlich nicht alle Menschen in den Produktionsländern glücklich über die neue Verordnung. Sie ist dennoch der richtige Weg, das sagte uns auch Marina Silva.
Die Europäische Union und ihre Mitgliedsstaaten unterstützen die Produktionsländer bei der Umsetzung der neuen Vorgaben. Denn das Ziel ist nicht weniger Handel sondern fairerer Handel. So unterstützt das deutsche Entwicklungsministerium neben Brasilien beispielsweise auch Indonesien, Côte d’Ivoire, Äthiopien, Ecuador und Kolumbien bei der Minderung agrargetriebener Entwaldung und in der Einbindung von Kleinbäuer:innen in entwaldungsfreie Lieferketten.
Die Globalisierung muss allen Menschen weltweit zugutekommen. Und es ist die Verantwortung aller Beteiligten, daran zu arbeiten. Aber es ist vor allen Dingen die Verpflichtung der Staaten, dies durch rechtliche Leitplanken sicherzustellen. Die Entwaldungsverordnung ist ein Schritt in diese Richtung – um die Globalisierung sozial und ökologisch gerecht auszugestalten. Damit europäische Konsument:innen mit ihrem Kaffee am Morgen oder dem Stück Schokolade zwischendurch nicht länger unfreiwillig Urwaldabholzung und Landraub unterstützen.
Svenja Schulze (SPD) ist Bundesministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Delara Burkhardt (SPD) ist Verhandlungsführerin der sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament für die EU-Entwaldungsverordnung.