29. Mai 2024 Rede von Bundesministerin Svenja Schulze bei der Festveranstaltung des Afrikanischen Diplomatischen Corps und der Deutschen Afrika Stiftung anlässlich des Afrikatags

Veranstaltung in der KfW-Repräsentanz in Berlin
Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrte Frau Botschafterin Alaoui,
sehr geehrte Exzellenz Herr Sijilmassi,
sehr geehrte Frau Kehr,
sehr geehrte Frau Dr. Eid,
Exzellenzen,
sehr geehrte Damen und Herren,

ich möchte Ihnen von Joel Tuyishime erzählen.

Er ist Geschäftsführer eines Unternehmens in Kigali, das sich auf den Export landwirtschaftlicher Produkte spezialisiert hat. Joel und seine Mitarbeitenden verkaufen unter anderem Avocados, Maracujas und Macadamianüsse an Kundinnen und Kunden im Nahen Osten und in Europa.

Doch warum exportiert das Unternehmen die Produkte nicht in andere afrikanische Länder? Joel hat darauf eine ganz klare Antwort gegeben.

Er sagt, dass es für sein Unternehmen einfacher und günstiger sei, die Produkte in den Nahen Osten oder nach Europa zu exportieren als in die Nachbarländer Ruandas. Dass es für ihn schwierig sei, andere afrikanische Länder zu bereisen, um die Bedarfe der Menschen dort kennenzulernen und Geschäftsbeziehungen zu knüpfen. Dass Zölle, dass hohe Transportkosten und der aufwändige Zugang zu Visa das Geschäft mit afrikanischen Ländern erschweren würden.

Joel setzt deshalb große Hoffnung auf die afrikanische Freihandelszone. Und diese Hoffnung teile ich. Denn mit dem Inkrafttreten der afrikanischen Freihandelszone vor fünf Jahren hat der innerafrikanische Handel starken Rückenwind bekommen. Die Freihandelszone wird die afrikanischen Länder enger miteinander verbinden.

Und sie wird, so wie es Frau Botschafterin gesagt hat, einen der größten zusammenhängenden Märkte der Welt schaffen – mit mehr als doppelt so vielen Ländern wie die EU und etwa dreimal so vielen potenziellen Kundinnen und Kunden.

Die Freihandelszone wird Grenzen abbauen. Für den Austausch von Waren und Dienstleistungen. Für länderübergreifende Produktion. Für den Zugang zu neuen Märkten. Aber auch für menschliche Begegnungen und Zusammenarbeit über Länder und Regionen hinweg.

Ich möchte hier ausdrücklich der Afrikanischen Union und Ihnen, als Vertreterinnen und Vertretern der afrikanischen Staaten, ganz herzlich zu diesem Meilenstein auf dem Weg der afrikanischen Integration gratulieren.

Die afrikanische Freihandelszone kann den innerafrikanischen Handel bis 2035 verdoppeln. Und nicht nur das: Sie kann dazu beitragen, Beschäftigungsmöglichkeiten für Millionen von Menschen zu schaffen und sie aus der Armut zu heben.

Das zeigt ganz deutlich: Es geht bei der Freihandelszone nicht nur um Handelserleichterungen und wirtschaftlichen Erfolg. Es geht vielmehr darum, den Handel so auszubauen, dass alle Menschen davon profitieren. Dass sich ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen spürbar verbessern.

Und Handel muss im Dienste der Entwicklung stehen, nicht nur des Marktzugangs. Das hat zum Beispiel auch die tansanische Präsidentin Samia Suluhu Hassan betont. Und diesen Punkt kann ich nur unterstreichen.

Und dazu wird auch das Protokoll zu Frauen und Jugend beitragen, das das Handelsabkommen ergänzt. Es zielt darauf ab, Frauen und Jugendliche gezielt in den Handel und in die Wirtschaft zu integrieren. Denn häufig sind es strukturelle Benachteiligungen und festgefahrene Rollenbilder, die ihnen die wirtschaftliche Teilhabe versperren. Zum Beispiel, wenn Frauen das Land, das sie bewirtschaften, nicht besitzen dürfen. Oder wenn sie keine Kredite erhalten, um ihre Unternehmen voranzubringen.

Solche Hürden für Frauen in der Wirtschaft und im Handel zu überwinden, ist eine ganz wichtige Voraussetzung für mehr Wachstum und mehr Wohlstand.

Und das gilt für Afrika und für Europa gleichermaßen. Die wirtschaftliche Teilhabe von Frauen zu stärken und Geschlechtergleichstellung voranzubringen, ist eine globale Aufgabe.

Meine Damen und Herren,

ich bin überzeugt: Die Freihandelszone bietet enorme Chancen für die Menschen in Afrika. Und genauso bietet sie Chancen für deutsche und europäische Unternehmen, die mit afrikanischen Partnerinnen und Partnern Handel treiben oder in Afrika investieren wollen. Auch sie werden von länderübergreifenden Produktionsketten, einheitlichen Standards und den großen zusammenhängenden Märkten profitieren.

Doch der Aufbau so einer Freihandelszone ist komplex und erfordert einen langen Atem. Die deutsche Bundesregierung unterstützt deshalb die Afrikanische Union, das Sekretariat der afrikanischen Freihandelszone und einige afrikanische Partnerländer bei dieser großen Aufgabe.

Zum Beispiel, indem wir Kredite für den grenzüberschreitenden Handel bereitstellen. Oder indem wir die Aushandlung der verschiedenen Handelsprotokolle fördern, wie zum Beispiel bei dem genannten Protokoll zu Frauen und zu Jugend.

Oder indem wir unsere afrikanischen Partner bei der Schulung von Grenzbeamtinnen und Grenzbeamten unterstützen. Wie zum Beispiel in Malawi und in Sambia. An den Grenzen ändert sich durch die Freihandelszone viel. Und gemeinsam mit den Regierungen vor Ort hat die deutsche Entwicklungszusammenarbeit deshalb Schulungen durchgeführt, um die Beamtinnen und Beamten auf die neuen Regeln vorzubereiten und eine beschleunigte Zollabwicklung sicherzustellen.

Damit lange Wartezeiten an der Grenze der Vergangenheit angehören und Produkte schneller in die Nachbarländer transportiert werden können. Das spart Geld und verhindert, dass Lebensmittel und andere empfindliche Produkte auf dem Transportweg verderben.

Und zudem richten wir als EU die Handelspolitik auf die afrikanische Freihandelszone aus: Unsere Handelsabkommen begünstigen zum Beispiel den Import von Produkten aus grenzüberschreitenden afrikanischen Wertschöpfungsketten. Und perspektivisch wollen wir ein Kontinent-zu-Kontinent-Handelsabkommen zwischen der EU und der Afrikanischen Union.

Die deutsche Bundesregierung unterstützt die afrikanische Freihandelszone auch deshalb, weil sie eine afrikanische Initiative ist.

Weil sie den afrikanischen Handel unabhängiger macht und innerafrikanische Wertschöpfungsketten stärkt.

Weil sie dazu beiträgt, überholte Handelsmuster und Abhängigkeiten zu durchbrechen. Muster und Abhängigkeiten, die vielen afrikanischen Ländern in der Kolonialzeit gewaltsam aufgezwungen wurden. Und die sich leider bis heute fortsetzen.

Es ist mir wichtig, die koloniale Vergangenheit nicht zu verschweigen. Im Gegenteil: Zu einer respektvollen Partnerschaft gehört, dass wir uns der kolonial geprägten Strukturen von heute bewusst sind.

Im Entwicklungsministerium arbeiten wir deshalb mit externen Expertinnen und Experten daran, koloniale Kontinuitäten in unserem Denken und in unserem Handeln zu identifizieren. Denn es gibt sie weiterhin und wir wollen sie endlich überwinden.

Diese Haltung einer ehrlichen Partnerschaft, die auf Respekt und Gegenseitigkeit beruht, bildet auch die Grundlage der Afrika-Strategie, die mein Ministerium letztes Jahr verabschiedet hat.

Viele von Ihnen haben sich in den Erarbeitungsprozess der Strategie eingebracht, haben uns mit Ihrer Expertise und mit Ihren Erfahrungen unterstützt. Und ich will auch heute die Gelegenheit nutzen, dafür noch einmal ganz herzlich zu danken.

Meine Damen und Herren,

die Afrika-Strategie ist geprägt von der Überzeugung, dass globale Herausforderungen nur gemeinsam mit Afrika bewältigt werden können.

Zum Beispiel der Klimawandel, dessen Folgen viele afrikanische Länder bereits heute ganz besonders hart treffen, obwohl sie am wenigsten zu der Entstehung dieser Probleme beigetragen haben.

Oder der sozial gerechte und ökologische Umbau der Wirtschaft, der angesichts des Klimawandels und der Digitalisierung weltweit notwendig ist. Viele afrikanische Länder können und wollen zu dem Umbau mit ihren Innovationen, mit ihren Ideen und ihren Ressourcen enorm viel beitragen.

Das haben sie zum Beispiel beim Africa Climate Summit in Kenia letztes Jahr sehr deutlich gemacht.

Und ein weiteres Beispiel ist die Gestaltung von Migration. Während Europa ein alternder Kontinent ist, ist Afrika ein junger, ein wachsender, ein dynamischer Kontinent. Und es gilt, gemeinsame und partnerschaftliche Ansätze für Migration umzusetzen, von denen alle profitieren: Die Migrantinnen und Migranten selber, die Herkunftsländer und die Aufnahmeländer.

Und um diese globalen Herausforderungen zu bewältigen, braucht die Weltgemeinschaft die Stimme und die Perspektive Afrikas. Und die afrikanischen Staaten brauchen mehr Gehör auf internationalen Bühnen. Das fordern sie zu Recht ein.

Und es war deshalb längst überfällig, dass die Afrikanische Union letztes Jahr endlich Mitglied der G20 geworden ist.

Die deutsche Bundesregierung hat sie dabei aus voller Überzeugung unterstützt. Denn Afrika muss Teil der Diskussion über die Probleme der Welt sein. Afrika muss gleichberechtigt mit am Tisch sitzen, wenn Entscheidungen getroffen werden.

Und Afrika muss ein stärkeres Mitspracherecht in der globalen wirtschaftlichen und politischen Steuerung bekommen.

Im nächsten Schritt geht es zum Beispiel um eine ständige Repräsentation Afrikas im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, die ich ebenfalls unterstütze.

Auf der internationalen Bühne ist die Afrikanische Union als politische Stimme Afrikas unverzichtbar. Deutschland und die Afrikanische Union können auf viele Jahre der erfolgreichen Zusammenarbeit zurückblicken.

Und es ist unser gemeinsames Ziel, die Afrikanische Union zu stärken und die Agenda 2063 als ihre Vision für die Entwicklung Afrikas weiter voranzubringen. Damit alle Menschen in Afrika von regionaler Integration, von Wohlstand, von Zusammenarbeit und Frieden profitieren.

Meine Damen und Herren,

angesichts der vielen Krisen in der Welt brauchen Afrika und Europa einander. Es braucht eine echte afrikanisch-europäische Partnerschaft, die auf Respekt und Gegenseitigkeit basiert. Und dazu müssen wir einander zuhören, unsere Denkmuster hinterfragen und die Perspektiven des Gegenübers begreifen. Lassen Sie uns in diesem Sinne den heutigen „Africa Day“ gemeinsam feiern und unsere Partnerschaft vertiefen. Herzlichen Dank.