28. September 2023 Schlechte Halbzeitbilanz der Agenda 2030 – Erwartungen an die deutsche Entwicklungspolitik nach dem SDG Summit

Rede von Ministerin Svenja Schulze auf der Veranstaltung der Ampelfraktionen

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Deborah Düring,
liebe Sanae Abdi,
lieber Till Mansmann,
sehr geehrte Frau Professorin Hornidge,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
sehr geehrte Damen und Herren,

vor acht Jahren hat die Weltgemeinschaft etwas geschafft, was eine enorme Leistung war und ist. Alle 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen haben einstimmig den Weltzukunftsvertrag geschlossen, die Agenda 2030. Dort haben wir uns als Weltgemeinschaft zu den 17 Nachhaltigkeitszielen bekannt, den Sustainable Development Goals, den SDGs. Das war ein Meilenstein. Und dieser globale Konsens ist die Richtschnur der deutschen Entwicklungspolitik.

Vor einer Woche war ich mit dem Bundeskanzler, der Außenministerin und der Umweltministerin beim zweiten SDG-Gipfel in New York. Dort stand die Frage im Zentrum, wo wir heute, zur Halbzeit der SDGs, bei der Umsetzung stehen. Und wie wir es als Weltgemeinschaft schaffen, die Ziele zu erreichen.

Die Halbzeitbilanz ist besorgniserregend. Bei keinem der SDGs sind wir global gesehen auf Kurs. Diese Bilanz war letzte Woche auf dem Gipfel deutlich spürbar. Es wird höchste Zeit für eine Aufholjagd auf dem Weg zu den Nachhaltigkeitszielen.

Und um in den kommenden Jahren auf Kurs zu kommen, brauchen wir schnelle und strukturelle Veränderungen. Es reicht nicht, nur zu sagen, dass wir als Weltgemeinschaft schneller werden müssen. Wir müssen es auch tun.

Deutschland geht mit gutem Beispiel voran. Im Vorfeld des Gipfels haben wir als Bundesregierung ressortübergreifende Schlüsselbeiträge beschlossen. Diese Beiträge zeigen, wie wir unserer nationalen und globalen Verantwortung gerecht werden wollen. Wie wir dazu beitragen wollen, die Ziele noch zu erreichen.

Einer dieser Schlüsselbeiträge ist der Klimaschutz. Er ist ein wichtiger Hebel, um die SDGs zu erreichen.

Klar ist: Die Weltgemeinschaft wird die Klimakrise nur gemeinsam stoppen. Neben den SDGs hat sie sich daher mit dem Pariser Klimaabkommen zum Ziel gesetzt, die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen. Denn es gibt keinen zweiten Planeten, auf den die Menschen ausweichen können. Die Folgen des Klimawandels bedrohen schon jetzt grundlegende Menschenrechte und die der Ärmsten dieser Welt.

Diejenigen, die sich am allerwenigsten gegen die Folgen des Klimawandels wehren können. Diejenigen, die keinen Plan B haben. Die nicht über die finanziellen Mittel verfügen, woanders hinzuziehen, obwohl die Extremwetterereignisse vor ihrer Haustür zunehmen. Die keinen Zugang zu klimatisierten Räumen haben, obwohl ihre Heimatregion sich lebensgefährlich aufheizt. Die sich kein abgefülltes Trinkwasser kaufen können, wenn der Brunnen versalzt. Die nicht im Supermarkt nebenan frische Lebensmittel einkaufen können. Die, die hungern, wenn ihre Ernte verdorrt. Die Menschen dieser Welt, für die der Klimawandel eine echte Lebensbedrohung ist.

Wie die Menschen im Sahel, die dort zum einen unter den aktuellen politischen Umbrüchen leiden, die aber gleichzeitig mit immer extremeren klimatischen Veränderungen zurechtkommen müssen. Oft betrifft das vor allem die Frauen, die zum Beispiel immer weitere Wege zurücklegen müssen, um an sauberes Trinkwasser zu kommen. Und es verschärft die Konflikte zwischen Hirten und Bauern, die von den Terroristen weiter angefacht werden.

Das Klima der Welt zu schützen, heißt daher vor allem: ihre verletzlichsten und ärmsten Bewohnerinnen und Bewohner zu schützen. Klimaschutz ist eine Frage von weltweiter sozialer Gerechtigkeit.

Und die dafür so dringend notwendigen Maßnahmen müssen auch sozial gerecht umgesetzt werden. Wir wissen: Um das Klima zu schützen, braucht es vor allen Dingen eine globale Energiewende. Diese Energiewende bringt Veränderungen mit sich, mit denen nicht alle einverstanden sind, wir kennen das auch hier aus Deutschland.

Sie führt zu Einschnitten im Leben aller. Sie führt zum Beispiel dazu, dass Kohlearbeiter ihre Arbeit verlieren. Daher ist es wichtig, dass diejenigen, die durch diese Reformen ihren Lebensunterhalt verlieren, Unterstützung und neue Perspektiven bekommen. Der gesamtgesellschaftliche Umbau hin zur Klimaneutralität muss allen Menschen zugutekommen und darf niemanden zurücklassen. Ich setze mich daher für eine sogenannte „Just Transition“ ein: eine sozial gerechte Transformation. Und diese Transformation zahlt in die Erreichung zentraler SDGs ein. Indem sie zum Klimaschutz beiträgt, indem sie Armut verringert.

Doch eine solche gerechte Transformation kostet Geld. Aber Nichtstun ist teurer. Denn wer die Kosten der Energiewende jetzt beklagt und scheut, handelt nicht sparsam, sondern treibt sie langfristig in die Höhe. Deswegen ist das Versprechen der Industrieländer, ab 2020 pro Jahr 100 Milliarden US-Dollar für den Klimaschutz im Globalen Süden zu mobilisieren, zentral. Nicht zuletzt für die Glaubwürdigkeit der Industrieländer. Deutschland steht zu diesem Versprechen: Der Bundeskanzler hat angekündigt, bis 2025 jährlich sechs Milliarden Euro für die internationale Klimafinanzierung zu verwenden. Im Jahr 2022 hat die Bundesregierung dieses Ziel bereits übertroffen und 6,3 Milliarden Euro deutsche Haushaltsmittel investiert. Der Großteil dieser Mittel – nach vorläufigen Berechnungen 86 Prozent – wurde vom BMZ mit seinen Partnern vereinbart, die restlichen Mittel von anderen Ressorts. Dies ist gelungen, weil wir in den sogenannten Regierungsverhandlungen mit den Partnerländern eine hohe Priorität auf die Themen Klimaschutz und Klimaanpassung gelegt haben.

Viele Partnerländer haben darauf positiv reagiert, so dass im Ergebnis deutlich mehr von Deutschland unterstützte Vorhaben im Klimabereich vereinbart werden konnten. Und auch bestehende Programme wie zum Beispiel die Sahel-Resilienz-Initiative wurden mit den Mitteln gestärkt. Diese hat sich einerseits zum Ziel gesetzt, trockene Böden durch alte Techniken zur Wasserspeicherung wieder fruchtbar zu machen, mit der sogenannten „Halbmondtechnik“. Und andererseits erhalten Kleinbäuerinnen Schulungen für den Anbau klimareslilienter Pflanzen. Beides zusammen macht Landwirtschaft wieder einfacher möglich und bindet gleichzeitig Kohlenstoff. Diese Maßnahmen zahlen damit mehrfach auf die SDGs ein. Sie wirken gegen den Hunger, sie verringern Armut, sie schützen das Klima. Auf dem Erfolg für 2022 werden wir uns nicht ausruhen, diese Summe wollen wir jetzt jedes Jahr erreichen.

Auch andere Länder sind in der Pflicht, ihren Anteil beizutragen. Das ist nicht nur effektiver Klimaschutz. Es zeigt auch, dass wir als Weltgemeinschaft vertrauenswürdig sind, liefern und zusammenarbeiten. Auch das ist Grundlage für die Erreichung der SDGs.

Denn um eine globale Just Transition zu schaffen, braucht es neben Geld auch starke Allianzen. Das Entwicklungsministerium setzt deshalb auf langfristige und inklusive Partnerschaften.

Zum Beispiel mit den Just Energy Transition Partnerships, den so genannten JETPs. Darüber arbeitet Deutschland gemeinsam mit ausgewählten Ländern des Globalen Südens und G7-Staaten in der frühen Phase der Energiewende zusammen am Klimaschutz. Bisher machen wir das mit Südafrika, Senegal, Vietnam und Indonesien.

Da geht es zum einen darum, dass sich diese Länder zu einem früheren Ausstieg aus fossilen Energieträgern bereiterklären und dass sie den Ausbau von erneuerbaren Energien schneller und sozial gerecht vorantreiben.

Es geht zum anderen aber auch darum, strukturell bei den Rahmenbedingungen für die Energiewende anzusetzen. Zum Beispiel durch steuerliche Anreize für den Ausbau von erneuerbaren Energien oder verbesserte Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Transparenz, und Bürokratieabbau. Damit die Privatwirtschaft mehr investiert in die Energietransformation dieser Länder.

Das Entwicklungsministerium leistet so einen Beitrag zum Klimaschutz und gleichzeitig, auch andere SDGs zu erreichen – Armut verringern, Hunger bekämpfen, Gleichberechtigung fördern.

Um die Aufholjagd auf dem Weg zu den Nachhaltigkeitszielen voranzutreiben, lädt Deutschland nächstes Jahr vom 20. bis 21. Juni 2024 zur Hamburg Sustainability Conference, kurz HSC ein.

Es ist in den letzten Jahren viel Vertrauen zwischen Industrieländern und Entwicklungsländern verloren gegangen. Und es geht jetzt darum, neues Vertrauen aufzubauen. Dafür braucht es neue Räume, in denen wir gemeinsam konkrete Lösungen für die sozial-ökologische Transformation entwickeln können. Mit WIR meine ich: Regierungsvertreterinnen und Regierungsvertreter, aber auch führende Köpfe aus Privatwirtschaft, Wissenschaft, Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen – aus dem Globalen Süden und dem Globalen Norden.

Das BMZ wird die genauen Inhalte der Konferenz gemeinsam mit Partnerinnen und Partnern aus dem Globalen Süden festlegen. Denn mir geht es um genau diesen partnerschaftlichen Austausch zu den strukturellen Fragen unserer Zeit. Wir sind in der neuen multipolaren Weltordnung gut beraten, in diesen partnerschaftlichen Austausch zu investieren. Und wir sind gut beraten, das Potenzial der Wirtschaft mit guten Rahmenbedingungen und Leitplanken stärker für nachhaltige Entwicklung weltweit zu nutzen. Auch darum geht es bei der HSC.

Sie sind herzlich eingeladen, an der HSC mitzuwirken.

Meine Damen und Herren,

ich habe in der jetzigen schwierigen geopolitischen Lage nicht die Erwartung, dass die Welt nach dem SDG-Gipfel in New York eine andere ist. Was ich aber während des SDG-Gipfels gesehen und gehört habe, hat mir Hoffnung gemacht. Wir werden uns durch unsere Entwicklungspolitik für die schnellere Umsetzung der SDGs einsetzen – sowohl im multilateralen System als auch direkt vor Ort in unseren Partnerländern. Wie Karl Popper schon sagte: „Es gibt zum Optimismus keine vernünftige Alternative“.