19. Dezember 2024 Mehr Sicherheit durch mehr internationale Zusammenarbeit

Angesichts vielfältiger Krisen auf der Welt braucht Deutschland eine Sicherheitspolitik, die schützt, indem sie verbindet und die menschliche Sicherheit in den Mittelpunkt stellt. Dass eine starke internationale Entwicklungszusammenarbeit für Frieden und Sicherheit unverzichtbar ist, erläutert Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze in einem Beitrag zum Sammelband „Operation Zeitenwende – eine Zwischenbilanz: Was Gesellschaft und Bundeswehr leisten müssen“ (Externer Link) der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Das Gefühl trügt nicht. Die Welt ist unübersichtlicher, die Krisen vielfältiger geworden – und das wird auf absehbare Zeit so bleiben. Die Antwort darauf darf keine Schneckenhaus-Politik sein, denn sich zurückziehen und verschließen bewirkt das Gegenteil: Es macht uns unsicherer.

Deutschland braucht eine Sicherheitspolitik, die schützt, indem sie verbindet. Und genau das macht die Bundesregierung. Wir stellen menschliche Sicherheit in den Vordergrund. Wir denken innere Sicherheit, Verteidigung, internationale Beziehungen und wirtschaftliche Zusammenarbeit zusammen. Doch warum ist das entscheidend?

Sicherheit durch Zusammenarbeit

Nicht erst seit der weltweiten Corona-Pandemie wissen wir, dass die Sicherheit in Deutschland eng mit der Sicherheit und Stabilität in anderen Weltregionen verbunden ist. Die Pandemie hat uns deutlich gezeigt, wie vernetzt wir mit anderen Regionen der Welt sind. Wir haben erlebt, was es bedeutet, wenn Lieferketten unterbrochen werden und zum Beispiel dringend benötigte Schutzmasken nicht zu bekommen sind.

Mit der internationalen Entwicklungszusammenarbeit fördert Deutschland Frieden und Sicherheit – bevor Krisen entstehen. Sie setzt sich für Perspektiven der Bevölkerung vor Ort ein. Sie setzt an den strukturellen Ursachen von Konflikten an, indem sie gegen Ungleichheit, Hunger und Armut kämpft, indem sie Bildung, Gesundheit, Gleichstellung der Geschlechter und Demokratien stärkt. Internationale Zusammenarbeit investiert heute in Prävention, um die Widerstandsfähigkeit von morgen zu sichern. Eine starke internationale Zusammenarbeit ist damit unverzichtbar für Frieden und Sicherheit.

Militärische und menschliche Sicherheit gehören zusammen

Um Krisen und Konflikte nachhaltig einzudämmen, braucht es mehr als ausschließlich militärische Antworten – zuletzt haben wir das in Afrika in der Sahel-Region gesehen. Sicherheit ist nicht nur die Abwesenheit von bewaffneten Konflikten oder Gefahr. Sicherheit umfasst auch wirtschaftliche und politische Stabilität, soziale Gerechtigkeit und den Schutz der Menschenrechte. Sicherheit bedeutet, dass die Menschen die Möglichkeit haben, ein Leben ohne Hunger, ohne Armut zu führen, selbstbestimmt und in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, mit gleichen Rechten für alle.

Internationale Entwicklungszusammenarbeit trägt direkt dazu bei, diese verschiedenen Dimensionen der Sicherheit zu stärken. Sie ist deshalb wichtiger Bestandteil der Nationalen Sicherheitsstrategie der Bundesregierung.

In der Sahel-Region wird die menschliche Sicherheit zum Beispiel durch Projekte zu klimaresistenten Anbaumethoden gefördert, die bei Dürren weniger anfällig sind. Sie ermöglichen Landwirt*innen, ihre Gemüseproduktion zu verbessern. So wie Noumoutènè Diarra, die in Koungoba in Südmali lebt. Sie lernte in einer Frauengenossenschaft, wie sie ihre Ernten optimieren kann, ohne die Böden auszulaugen. Damit sichert sie nicht nur die Versorgung ihrer Familie, sondern kann zusätzlich Arbeitsplätze schaffen. Das kurbelt die Landwirtschaft an und trägt direkt zur Ernährungssicherheit bei. Gleichzeitig trotzt sie damit der Perspektivlosigkeit und verringert so die Erfolgschancen von Terroristen, neue Anhänger zu rekrutieren. Denn wer sich dort Terrorgruppen anschließt, tut das meist nicht aus ideologischen Gründen, sondern weil es häufig die einzige Einnahmequelle ist.

Natürlich lässt sich Terror nicht mit Gemüseanbau bekämpfen. Natürlich sorgt Entwicklungspolitik nicht allein für Sicherheit. Aber: Es geht nicht ohne sie. Die Menschen brauchen ein Einkommen, sie brauchen eine Perspektive.

Das gilt auch für das entwicklungspolitische Engagement in der Ukraine. Indem Deutschland die Ukraine zum Beispiel beim Ausbau der Stromversorgung unterstützt, tragen wir dazu bei, nachhaltige Strukturen zu schaffen, die die Menschen schützen und ihre Widerstandskraft stärken. Diese Unterstützung ist ein Gebot der Solidarität, aber sie ist auch im deutschen Interesse. Denn die Ukraine verteidigt in diesem Krieg auch unsere Sicherheit in Europa und in Deutschland.

Unser Wohlstand beruht auf Weltoffenheit

Deutschland ist auf stabile Länder angewiesen. In direkter Nachbarschaft genauso wie auf dem afrikanischen Kontinent oder in Asien. Wir brauchen strategische und verlässliche Partnerschaften in der Welt – auch weil die deutsche Volkswirtschaft jeden zweiten Euro im Export verdient. Um unseren Wohlstand zu halten und die starke Wirtschaftsnation zu bleiben, die wir sind, sind wir auf Rohstoffe, stabile Absatzmärkte und Fachkräfte aus anderen Ländern angewiesen.

Für die Herstellung von Medikamenten ebenso wie für die Produktion von Elektroautos brauchen wir überdies stabile Lieferketten. Zum Beispiel werden die Wirkstoffe für Paracetamol oder Ibuprofen inzwischen zu mehr als zwei Dritteln in Asien produziert. Und das Lithium für unsere Elektroautobatterien stammt aus Südamerika. Wir sind auf diese Bestandteile angewiesen, damit die Menschen in Deutschland in der Apotheke Ibuprofen bekommen und damit ihre Elektroautos fahren können. Das Entwicklungsministerium arbeitet im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit mit diesen Ländern und schafft gemeinsam mit ihnen die dafür notwendigen Rahmenbedingungen und Stabilität. Das sichert unsere Lebensgrundlagen.

Arbeitsmigration für wirtschaftliche Sicherheit

Deutschland ist nicht nur auf Rohstoffe und Produkte aus anderen Ländern angewiesen, sondern auch auf Menschen. Als modernes Einwanderungsland stehen wir vor der Aufgabe, dringend benötigte Arbeits- und Fachkräfte zu gewinnen. Denn in fast allen Branchen und Regionen fehlen Köpfe, die mitdenken, und Hände, die mitanpacken, um den Wohlstand in Deutschland zu erhalten.

Um die Lücke auf dem Arbeitsmarkt zu schließen, müssten ab jetzt im Schnitt 400.000 zusätzliche Arbeits- und Fachkräfte pro Jahr nach Deutschland zuwandern. Das sind so viele Menschen, wie in Bochum wohnen. Im Jahr 2022 migrierten jedoch nur rund 71.000 Personen aus Nicht-EU-Staaten zur Erwerbstätigkeit nach Deutschland. Im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit setzen wir uns dafür ein, mehr Arbeits- und Fachkräfte zu gewinnen – und zwar so, dass alle Beteiligten davon profitieren: Migrant*innen, weil sich ihnen so Perspektiven und sichere Migrationswege bieten. Herkunftsländer, weil damit die berufliche Bildung im eigenen Land gestärkt wird und sie von den Geldtransfers der Arbeitsmigrant*innen in die eigene Volkswirtschaft profitieren. Und Deutschland, weil so die dringend benötigten Fachkräfte und Auszubildenden zu uns kommen können. Das sichert ebenfalls unsere Lebensgrundlagen.

Klimaschutz klappt nur, wenn alle mitmachen

Die Bedrohung unserer Lebensgrundlagen durch den Klimawandel wird immer spürbarer, zuletzt durch die jüngsten Hochwasser in Europa. Auch die Menschen in Deutschland erfahren es am eigenen Leib: Der Klimawandel macht nicht an Grenzen halt. Er lässt sich nur gemeinsam als Weltgemeinschaft aufhalten. Richtschnur sind die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Mit der internationalen Zusammenarbeit leisten wir dazu einen wesentlichen Beitrag.

Das ist nicht nur Eigennutz, sondern auch eine Frage der Gerechtigkeit. Denn es leiden vor allem die Menschen in besonders armen Regionen stark unter den Folgen des Klimawandels – und damit diejenigen, die zumindest historisch betrachtet vergleichsweise wenig dazu beigetragen haben. Hier übernimmt Deutschland Verantwortung.

Beispielsweise indem wir mit der internationalen Zusammenarbeit Staaten dabei unterstützen, die sozialen Sicherungssysteme in ihren Ländern auszubauen. So sind die Menschen im Falle von Klimaschäden, wie zum Beispiel nach einer verdorrten Ernte, nicht auf sich gestellt.

Und indem wir uns mit der internationalen Zusammenarbeit weltweit dafür einsetzen, dass der notwendige gesellschaftliche Umbau hin zu Klimaneutralität nicht zulasten derjenigen geht, die eh schon am wenigsten haben. Ziel ist eine Wirtschaftstransformation, die ökologisch und sozial gerecht ist, eine Just Transition. Auch das gehört zur menschlichen Sicherheit. Und entspricht meinem Verständnis einer sozialdemokratischen, internationalen Zusammenarbeit.

Internationale Solidarität ist auch in unserem Interesse

Überall auf der Welt ist der Klimawandel Mitverursacher von Krisen. Der knapper werdende Zugang zu sauberem Trinkwasser oder fruchtbaren Böden entfacht zunehmend Konflikte. Extremwetterereignisse zerstören die Lebensgrundlagen der Menschen und treiben sie in die Flucht. Auch deshalb ist die Zahl der Geflüchteten so hoch wie noch nie und liegt inzwischen bei 120 Millionen weltweit. Damit hat sich die Zahl seit Beginn meiner politischen Laufbahn verdreifacht. Der Großteil der Menschen bleibt dabei in den direkten Nachbarländern – die oft selbst wenig haben.

Diese Aufnahmeländer brauchen internationale Solidarität. Weil es richtig ist, sie dabei zu unterstützen, für diejenigen, die sonst nichts mehr haben, einen sicheren und lebenswürdigen Ort zu bieten. Unsere Solidarität steht dabei für sich. Sie ist gleichzeitig aber auch in unserem Interesse. Denn wenn die Menschen in den Aufnahmeländern eine Perspektive bekommen, wenn es uns durch internationale Zusammenarbeit gelingt, dort Stabilität zu gewährleisten, dann müssen sie sich nicht auf die gefährliche Weiterflucht begeben.

Mit internationalen Partnerschaften Versorgung in Deutschland sichern

Diese Form von doppeltem Gewinn – für die Menschen in unseren Partnerländern und für uns hier in Deutschland – gilt auch für den Energiebereich. Denn Entwicklungszusammenarbeit leistet einen Beitrag zur Versorgungssicherheit in Deutschland und fördert gleichzeitig nachhaltiges Wirtschaftswachstum in unseren Partnerländern.

Wenn Länder wie zum Beispiel Ägypten und Marokko direkt auf klimaneutrale Energiequellen und grünen Wasserstoff setzen, profitieren die Menschen dort durch den Aufbau von Wertschöpfungsketten und Arbeitsplätzen. Die Menschen in Deutschland profitieren, weil jede weltweit eingesparte Tonne CO₂ in unserem Interesse ist und weil deutsche Unternehmen Exportmöglichkeiten für ihre Technologien bekommen und damit hierzulande Arbeitsplätze schaffen. Außerdem braucht die deutsche Industrie dringend grünen Wasserstoff, um die Energiewende zu schaffen und um Abhängigkeiten von anderen Rohstoffen zu verringern und so die Energiesicherheit in Deutschland zu gewährleisten. Dazu trägt die internationale Zusammenarbeit zum Beispiel mit Großprojekten zur Produktion von grünem Wasserstoff in Ägypten und Marokko direkt bei.

Ernährungssicherheit betrifft uns alle

Für viele Menschen in Deutschland war es ein Schock, als nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine das Getreide, damit Brot und Öl, auch hier in Deutschland knapp wurden. Russland und die Ukraine haben vor Kriegsbeginn etwa 30 Prozent des weltweit benötigten Weizens und 20 Prozent des weltweit benötigten Mais produziert. Russland ist zudem ein wichtiger Exporteur von Dünger. Viele Länder aus Afrika und dem Nahen Osten waren von diesen Lieferungen abhängig. Die Folgen, die der Krieg in der Ukraine für die weltweite Ernährungssicherheit hatte, waren entsprechend enorm: Die Zahl der Hungernden ist in vielen Ländern wie Äthiopien, Somalia und im Kongo wieder massiv angestiegen, es kam zu humanitären Katastrophen.

Gemeinsam mit unseren Partnerländern setzen wir alles daran, diese Abhängigkeiten zu verringern und lokale Landwirtschaft wiederzubeleben, zum Beispiel im Sahel. Dort ist es gelungen, große Flächen mit der traditionellen „Halbmondtechnik“ zu bebauen. Die Anbaumethode kommt ohne anfällige Technologien aus, und die lokalen Nutzpflanzen sind resistenter gegen Hitze. Die dadurch entstandenen Jobs werden vor allem von Frauen ausgeübt. Sie tragen damit zum Familieneinkommen bei, häufig macht das erst den Schulbesuch der Kinder möglich. So werden Perspektiven für alle geschaffen.

Die besseren Partner sein

Nicht zuletzt hat die internationale Entwicklungszusammenarbeit auch eine ganz konkrete, geostrategische Funktion für Deutschland. Es gilt, dem Einfluss von Russland und China in bestimmten Regionen etwas entgegenzusetzen. Beide sind in Afrika, aber auch in Asien in den vergangenen Jahren wesentlich aktiver geworden. Russland setzt dabei zum Beispiel in der Sahel-Region auf gezielte Desinformation. Dem dürfen wir Europäer*innen nicht tatenlos zuschauen. Es gilt zu verhindern, dass Russland Europa durch seinen Einfluss im Sahel unter Druck setzen kann – zum Beispiel, indem es Migration zur Destabilisierung einsetzt oder zukünftige Energielieferungen aus Afrika kontrolliert.

Längst können sich unsere potenziellen Partner in der Welt aussuchen, mit wem sie zusammenarbeiten wollen. Die internationale Zusammenarbeit spielt hier eine zentrale Rolle. Von oben herab ist dabei keine Option mehr. Gefragt ist weniger Zeigefinger und mehr ausgestreckte Hand. Zu einer solchen Partnerschaftlichkeit gehört auch, auszusprechen, wo unsere eigenen Interessen liegen. Zuzuhören und sich gegenseitig ernst zu nehmen. Nur so können wir die besseren Partner sein.

Bloß kein Rückzug ins Schneckenhaus

Zusammenfassend gilt: Die internationale Entwicklungszusammenarbeit ist ein maßgeblicher Pfeiler für Deutschlands Sicherheit. Weil Deutschland auf stabile Partner in der Welt angewiesen ist, um unsere Versorgung zu sichern, unsere Wirtschaft zu erhalten und unsere geostrategischen Interessen durchzusetzen.

Bei aller Strategie ist für mich als Sozialdemokratin eins am wichtigsten: Nur wenn es uns gelingt, globale Ungleichheiten abzubauen, können wir gemeinsam eine Zukunft schaffen, die für alle lebenswert ist. Alle, auch in Deutschland.


Der Sammelband „Operation Zeitenwende – eine Zwischenbilanz: Was Gesellschaft und Bundeswehr leisten müssen“ steht auf der Website des Landesverbandes Sachsen-Anhalt der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Download (Externer Link) bereit.