28. November 2024 Rede von Bundesministerin Svenja Schulze beim 10. Jubiläum des Bündnisses für Nachhaltige Textilien
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Bündnismitglieder,
im August habe ich eine Textilfabrik in Pakistan besucht. Einige von Ihnen hier im Raum waren damals mit dabei. Es war mitten im Sommer, die Luft war über 30 Grad heiß und enorm stickig.
In der Fabrik saßen Arbeiterinnen und Arbeiter in langen Reihen an Nähmaschinen und haben Bettwäsche für den deutschen Markt gefertigt. Sie alle kennen diese Eindrücke sicherlich von Ihren eigenen Besuchen in den Produktionsländern.
Ich hatte die Chance, mit einem Dolmetscher die Näherinnen und Nähern in der Fabrik zu fragen, wie sich ihre Arbeitsbedingungen in den letzten Jahren verändert haben. Eine der Antworten ist mir besonders gut im Gedächtnis geblieben.
Eine junge Frau hat mir erzählt, dass sie früher pro Stück bezahlt wurde. Dass sie permanent unter Leistungsdruck stand, um einen Lohn mit nach Hause zu nehmen, der halbwegs zum Leben reicht. Oftmals war die reguläre Arbeitszeit dafür nicht genug, sodass sie viele, viele Überstunden machen musste.
Was sich für sie nun verändert hat, ist, dass sie in der Fabrik nicht mehr pro Stück bezahlt wird, sondern pro Monat. Sie hat einen festen Arbeitsvertrag. Und damit hat sie ein verlässliches Einkommen. Sie steht immer noch unter Leistungsdruck. Aber sie muss nicht mehr so viele Überstunden machen und hat mehr Zeit für ihre Familie.
Das Beispiel zeigt, dass manchmal schon kleine Veränderungen für die Menschen vor Ort einen großen Unterschied machen. Und genau diese Veränderungen – ob im Kleinen, oder im Großen – stehen im Textilbündnis seit zehn Jahren im Zentrum. Veränderung, die die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen in den Produktionsländern deutlich verbessern.
Herzlichen Dank an Sie, an alle, die sich im Textilbündnis engagieren. Und die gemeinsam – als Wirtschaft, als Zivilgesellschaft, als Gewerkschaften und als Politik – eine nachhaltige Textilbranche voranbringen.
Es ist vollkommen klar, dass so eine Multi-Akteurs-Partnerschaft nicht immer leicht ist. Dass es unterschiedliche Erfahrungen und Sichtweisen gibt. Da ruckelt es manchmal. Da kracht es auch manchmal. Davon können Sie alle berichten. Das liegt in der Natur eines solchen Bündnisses.
Doch die gemeinsamen Erfolge schweißen am Ende zusammen. Und davon hat das Textilbündnis nach zehn Jahren viele vorzuweisen.
Zum Beispiel hat das Textilbündnis tausende kleinbäuerliche Familien in Indien dabei unterstützt, Bio-Baumwolle statt konventioneller Baumwolle anzubauen. Die Bäuerinnen und Bauern können so ein höheres Einkommen erzielen. Sie können endlich ihre Kinder in die Schule schicken. Sie leiden weniger unter Atemwegs- und Hauterkrankungen, da sie nicht mehr mit schädlichen Pestiziden in Kontakt kommen. Und auch die Artenvielfalt und die Bodenqualität in Indien profitieren davon.
Ein anderes Beispiel sind die Beschwerdemechanismen, die in vielen Fabriken mit Unterstützung des Textilbündnisses eingerichtet wurden. Über 150.000 Arbeiterinnen und Arbeiter haben dadurch heute die Möglichkeit, auf Missstände aufmerksam zu machen, Verbesserungen anzustoßen. Ich kann mich erinnern an die Gespräche mit den Arbeiterinnen in Pakistan, die mit ihren Anliegen jetzt bei den Fabrikleitungen Gehör finden.
Ein ganz konkretes Beispiel ist Saba Tahir, die in einer pakistanischen Textilfabrik arbeitet. Sie wurde auf ihrem Weg zur Arbeit regelmäßig sexuell belästigt. Als in ihrer Fabrik auf Initiative des Textilbündnisses ein Beschwerdemechanismus eingerichtet wurde, hat sie die Chance ergriffen und auf das Problem für die vielen Frauen in der Fabrik aufmerksam gemacht. Und das mit Erfolg: Heute gibt es in der Fabrik einen Fahrdienst, mit dem Saba Tahir und die anderen Arbeiterinnen sicher zur Arbeit kommen können.
Und nicht nur in den Produktionsländern wie Indien und Pakistan sind solche Erfolge des Textilbündnisses sichtbar. Auch hier in Deutschland hat das Textilbündnis zu Veränderungen beigetragen.
So haben Sie, die Bündnismitglieder, sich bereits früh dazu verpflichtet, unternehmerischen Sorgfaltspflichten in ihren Lieferketten umzusetzen. Sie haben gemeinsam ausgelotet, was ambitioniert und gleichzeitig machbar ist.
So haben Sie maßgeblich dazu beigetragen, den Sorgfaltspflichtenansatz auf nationaler und europäischer Ebene voranzubringen. Sie haben wichtige Grundlagenarbeit geleistet, auf die mit dem deutschen Lieferkettengesetz und mit der EU-Lieferkettenrichtlinie aufgebaut werden konnte.
Mir ist bewusst, dass viele Unternehmen beim Lieferkettengesetz nicht in erster Linie an gute Arbeit denken, sondern erstmal an mehr Arbeit. Doch bei dem Gesetz – und auch bei der EU-Regelung – geht es nicht um Bürokratie. Es geht am Ende um menschenwürdige Arbeitsbedingungen, um faire Löhne und um eine umweltschonende Produktion. Es geht darum, das, was international schon lange vereinbart ist, jetzt endlich umzusetzen.
Und zur Unterstützung der Unternehmen gibt es Help Desks in Deutschland und auch in vielen unserer Partnerländer.
Davon profitieren die Menschen, die in den globalen Textillieferketten arbeiten. Und genauso profitieren die Unternehmen und Menschen hier in Deutschland. Denn Investitionen in gute Arbeitsbedingungen schaffen Vertrauen. Sie stärken Partnerschaften und machen sie auch in Krisenfällen widerstandsfähiger. Das ist etwas, das sich langfristig auszahlt.
Und ich bin überzeugt: Mit den gesetzlichen Lieferketten-Regelungen sind Multi-Akteurs-Partnerschaften wie das Textilbündnis bei weitem nicht obsolet geworden. Ganz im Gegenteil: Ihnen kommt eine wichtige Rolle dabei zu, die Unternehmen dabei zu unterstützen, ihren individuellen Sorgfaltsplichten nachzukommen. Zum Beispiel durch gemeinsame Risikoanalysen und unternehmensübergreifende Beschwerdemechanismen.
Und zugleich ermöglichen Multi-Akteurs-Partnerschaften den Mitgliedern Zugänge zu den Menschen vor Ort – zu den Arbeitern oder Bäuerinnen, zu den Gewerkschaften, zur lokalen Zivilgesellschaft. Die Menschen in den Produktionsländern können so für ihre Anliegen Gehör finden. Sie können eigene Ideen und Vorschläge einbringen.
Das ist ganz entscheidend, denn die tragfähigsten Lösungen entstehen dann, wenn die daran mitwirken, die die Arbeitsbedingungen vor Ort am besten kennen.
Wie zum Beispiel beim Dindigul Agreement in Indien, das vom Textilbündnis unterstützt wird. Das Abkommen zwischen internationalen Modeunternehmen, Gewerkschaften und Zulieferbetrieben soll geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung in den Textilfabriken eindämmen.
Das Abkommen wurde maßgeblich von der frauengeführten indischen Gewerkschaft TTCU mitgestaltet. Und durch den permanenten Einsatz von Gewerkschafterinnen in den Fabriken wird die Sicherheit der Frauen am Arbeitsplatz spürbar verbessert.
Solche Lösungen, die auf lokalen Strukturen basieren und von den Akteurinnen und Akteuren vor Ort getragen werden, gilt es zu unterstützen. Denn nur so lassen sich effektive und nachhaltige Verbesserungen in der gesamten Textillieferkette bewirken.
Ich möchte Sie als Bündnismitglieder deshalb darin bekräftigen, diesen Weg weiterzugehen. Binden Sie die lokalen Stakeholder noch stärker und systematischer in die Arbeit des Bündnisses ein.
Die Absichtserklärung, die wir heute gemeinsam unterzeichnen werden, ist ein wichtiger Schritt auf diesem Weg. Darin bringen die jetzt ersten unterzeichnenden Unternehmen und Organisationen zum Ausdruck, dass auch sie ihre Zusammenarbeit mit lokalen Gewerkschaften und lokalen zivilgesellschaftliche Organisationen stärken wollen.
Zum Beispiel, indem gemeinsame Runde Tische in den Produktionsländern ausgerichtet werden. Oder indem die lokalen Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen dabei unterstützt werden, ihre Strukturen und Kapazitäten auszubauen.
Meine Damen und Herren,
das Textilbündnis hat in den letzten zehn Jahren viel bewegt. Es ist ein Vorbild geworden, an dem sich andere Länder und andere Branchen orientieren.
Ich bin überzeugt, dass das Textilbündnis auch in Zukunft wichtige Impulse setzen wird, um die Arbeits-, um die Lebensbedingungen der Menschen in der Textilindustrie zu verbessern. Auch wenn es mal ruckelt. Warum? Das Motto des Textilbündnis bringt es für mich perfekt auf den Punkt: „Weil wir gemeinsam mehr erreichen“.