24. April 2023 Internationaler Klimaschutz als Instrument der Friedenssicherung
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
stellen Sie sich vor, es sind 48 Grad Celsius draußen: Das Thermometer ist am Anschlag, es kann maximal 50 Grad messen. Die Hitze brütet unerträglich. Sie arbeiten auf dem Feld, aber die Ernte ist kläglich, denn die ungewöhnliche Hitze hat die Körner verdorrt. Zur Mittagszeit steht die Sonne am höchsten und es wird Ihnen schwarz vor Augen. Sie gönnen sich eine Auszeit in einem Hitzeschutzlager, das die lokale Verwaltung zur Linderung der Not kurzfristig eingerichtet hat. Unter quietschenden Deckenventilatoren reiht sich hier eine Pritsche neben die nächste. Sie haben großen Durst, aber wollen sich heute nicht in die Schlange am Brunnen einreihen, denn ständig kommt es dort zu Streitereien. Das Wasser ist knapp und ohne Wasser liegen die Nerven blank.
Das sind Szenen, die fast apokalyptisch klingen, oder? In Indien sind sie längst Realität. Hitzewellen gibt es dort jedes Jahr, aber die letzten waren extrem. Das ist auch eine Folge des Klimawandels. Der jüngste Bericht des Weltklimarats warnt noch einmal ganz deutlich, dass Naturkatastrophen wie Hitzewellen, Dürren oder auch Starkregen häufiger und stärker werden. Dass dadurch Nahrung und sauberes Wasser knapp werden und somit grundlegende Menschenrechte gefährdet sind. Und das gefährdet den Frieden.
Wir kommen heute zusammen, um den Frieden zu feiern. Vor 375 Jahren hat der Westfälische Frieden einem leidvollen, 30-jährigen Krieg endlich ein Ende gesetzt. Die Friedensverträge von Osnabrück und Münster waren eine enorme Errungenschaft, denn sie brachten alle beteiligten Parteien an einen Tisch und legten die Grundlage für Stabilität in Europa. Es tut gut, den Frieden zu feiern in Zeiten, in denen wieder Krieg herrscht in Europa.
Aber nicht nur in Europa ist der Frieden bedroht. Er ist weltweit bedroht, und der Klimawandel wirkt hier wie ein Brandbeschleuniger. Denn er sorgt dafür, dass unsere Ressourcen schwinden. Dass Wasser knapp und der Hunger zunehmen werden. Dass immer mehr Menschen sich gezwungen sehen, ihre Heimat zu verlassen.
Die Folgen des Klimawandels treffen die Menschen im Globalen Süden häufig am stärksten. Sie bekommen die Erderwärmung am deutlichsten zu spüren. Das ist besonders gravierend, weil ihre Lebensgrundlagen oft sehr klimasensibel sind: Denn viele Menschen im Globalen Süden sind auf die Landwirtschaft angewiesen und geraten bei Ernteausfällen in existenzielle Not. Ihre Wohnräume halten extremem Wetter oft nicht stand und wer in Küstennähe lebt, wie in Bangladesch oder auf kleinen Inselstaaten beispielsweise, ist dem Anstieg des Meeresspiegels ausgeliefert. Außerdem verfügen die Länder des Globalen Südens häufig über weniger Möglichkeiten, sich anzupassen: Sie haben weniger Mittel, um moderne Bewässerungssysteme aufzubauen oder Deiche zu errichten. Sie können ihre Bevölkerung oft sozial nicht absichern.
Und das macht die Menschen verwundbar. Es gefährdet ihre Existenz – denn der Klimawandel stellt ihr Menschenrecht auf Nahrung, Wasser, Wohnen und Gesundheit in Frage. Für jeden einzelnen Menschen kann er großes Leid und Unsicherheit bedeuten. Für Gesellschaften als Ganze gefährdet er den sozialen Zusammenhalt und das friedliche Miteinander.
Ich komme gerade zurück aus Mali und Niger in der Sahelzone. Dort treffen die Wanderwege der Nomaden mit ihren Viehherden auf die Hirsefelder der sesshaften Bauern. Lange haben beide Gruppen friedlich miteinander gewirtschaftet, sogar voneinander profitiert. Aber dieses Gleichgewicht ist unter Druck geraten. Ein wichtiger Faktor ist dabei der Klimawandel. Denn fruchtbare Böden, Weideflächen für Vieh und sauberes Wasser werden immer knapper. Sowohl die Nomaden, als auch die Bauern brauchen diese Ressourcen dringend, und das verursacht soziale Spannungen. Die Region zeigt wie unter einem Brennglas, dass der Klimawandel Verteilungskonflikte neu entfacht oder sie verstärkt.
Denn wo Armut, politische Instabilität und gewaltsame Konflikte vorherrschen, ist die Verwundbarkeit am größten. Und bietet Nährboden für weitere Kriegstreiber wie etwa den Terrorismus. Klima und Konflikte sind hier eng miteinander verzahnt. Das Paradoxe dabei ist, dass die Länder und Menschen, die – historisch betrachtet – am wenigsten zum Klimawandel beigetragen haben, häufig am meisten unter den Folgen leiden.
Deutschland gehört zu den Mitverursachern des Klimawandels. Und deshalb tragen wir in Deutschland Verantwortung. Verantwortung dafür, den Klimawandel aufzuhalten und seine Folgen solidarisch zu bewältigen. Der Klimawandel ist menschengemacht. Und daher kann die Menschheit auch gegensteuern. Als internationale Gemeinschaft haben wir das Rahmenwerk hierfür bereits: Es sind das Pariser Klimaabkommen und die 17 Nachhaltigkeitsziele der Agenda 2030. Sie schaffen die Grundlagen dafür, den Klimawandel und die anderen großen Bedrohungen für die menschliche Sicherheit gemeinsam anzugehen: Armut, Ungleichheit und gewaltsame Konflikte.
Der Weltklimarat hat in seinem Bericht auch deutlich gemacht, dass die Weltgemeinschaft bei Weitem noch nicht genug tut, um die Ziele der Agenda 2030 und des Pariser Abkommens zu erreichen. Hier will die deutsche Entwicklungspolitik maßgeblich zu einer Trendwende beitragen! Denn es geht wortwörtlich darum, für ein Friedensklima auf unserer Erde zu sorgen.
Wie aber schaffen wir ein Klima, das Frieden stiftet?
Entwicklungspolitisch setzen wir dazu auf verschiedenen Ebenen an:
Erstens, wir unterstützen unsere Partnerländer in ihren Bemühungen, den Ausstoß von Treibhausgasen zu mindern. Der Energiesektor spielt dabei eine Schlüsselrolle. Ihn klimagerecht umzubauen, obwohl insgesamt der Energiebedarf steigt, ist für sich genommen schon ein Kraftakt. Hinzu kommt die Frage, wie die Energiewende sozial gerecht ausgestalten werden kann – denn nur eine solche Just Transition schafft neben Klimaschutz auch soziale Sicherheit und trägt damit zu Frieden bei.
Deutschland unterstützt deshalb Partnerschaften für eine gerechte Energiewende – Just Energy Transition Partnerships – in Südafrika, Indonesien und Vietnam. Ziel ist es, Investitionen in erneuerbare Energien gleichzeitig zum Motor für soziale Entwicklung zu machen. So zum Beispiel in Südafrika, wo der Kohleausstieg eine energiepolitische und eine soziale Herausforderung ist. Denn wer bisher mit Kohle seinen Lebensunterhalt verdient hat, braucht neue Perspektiven. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit verknüpft deshalb gute Arbeitsplätze und soziale Sicherung mit einer grünen Strukturpolitik. Auch multilateral setze ich mich beispielsweise bei der Reform der Weltbank dafür ein, dass der Klimaschutz gestärkt wird.
Zweitens unterstützt mein Ministerium seine Partnerländer dabei, sich an den Klimawandel anzupassen. Wir setzen dabei gezielt auf die Förderung von Sicherheit für die Menschen vor Ort. Das ist besonders akut in fragilen Kontexten, wo der Klimawandel bereits bestehende Konflikte verschärft. In der Sahelregion in Afrika – konkret in Mali, Niger und Tschad – unterstützt mein Ministerium in Zusammenarbeit mit der EU-Kommission das sogenannte Frexus-Projekt. Das Projekt arbeitet mit den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen daran, friedliche Lösungen für Konflikte um Ressourcen zu finden. Im Mittelpunkt stehen dabei Konflikte um die Wasser-, Energie- und Nahrungsmittelversorgung, die aufgrund des Klimawandels unter starkem Druck stehen. Das Projekt verknüpft hier also ganz gezielt Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel mit der Förderung von Sicherheit.
Aber Sicherheit bedeutet mehr als nur die Abwesenheit von Konflikten. Es geht um menschliche Sicherheit. Und das bedeutet, die Menschen auch vor den immer drastischeren Folgen des Klimawandels zu schützen. Deshalb habe ich beispielsweise gemeinsam mit der Weltbank das Bündnis für globale Ernährungssicherheit ins Leben gerufen. Ziel ist es, die akute Ernährungskrise zu bewältigen und die globale Ernährungssicherheit langfristig zu verbessern. Das Bündnis unterstützt zum Beispiel Landwirtinnen und Landwirte dabei, unabhängig von fossilen Düngerimporten zu werden oder traditionelle Getreidesorten wieder einzuführen. Diese halten oft Hitze und Dürren besser stand.
In ihrer Sicherheit besonders bedroht sind die Menschen, die unter oder am Rande der Armutsgrenze leben und im Falle einer Krise auf sich allein gestellt sind. Im Rahmen der deutschen Präsidentschaft haben die G7 deshalb gemeinsam mit 58 besonders vom Klimawandel bedrohten Ländern den Globalen Schutzschirm gegen Klimarisiken ins Leben gerufen. Er unterstützt armutsgefährdete Menschen im Falle eines Klimaschadens schnell, zum Beispiel durch direkte Geldleistungen.
Drittens, und hier möchte ich nochmal an den Geist des Westfälischen Friedens erinnern, baut mein Ministerium auf breite Partnerschaften und solidarische Zusammenarbeit. Denn das zeigt die Geschichte: Zwar gab es schon vor den Friedensverträgen von Osnabrück und Münster Versuche, den Konflikt zu beenden. Jedoch scheiterten sie daran, dass sie nicht die Interessen aller Beteiligten berücksichtigten. Erst der Westfälische Frieden brachte alle Parteien gleichberechtigt an einen Tisch. Und genau diese gleichberechtigten, globalen Partnerschaften braucht es auch heute, um unser gemeinsames Klima weltweit zu schützen und damit eine Grundlage für Frieden zu schaffen.
Meine Damen und Herren,
Entwicklungszusammenarbeit ist immer auch Friedenspolitik Sie schafft Sicherheit, indem sie Armut, Hunger und Ungleichheit als Treiber von Konflikten angeht. Indem sie die demokratische Entwicklung fördert und Menschen dabei unterstützt, Krisen zu bewältigen. Mit ihren langfristigen Ansätzen und ihrer starken lokalen Verankerung kann sie sozialen Spannungen entgegenwirken und so zu einer friedlichen Welt beitragen.
Ob es der internationalen Gemeinschaft gelingt, weltweit ein Friedensklima zu schaffen, wird sich nicht in Osnabrück und Münster zeigen. Das müssen wir den Landarbeiter und die Kleinbäuerin in Indien fragen. Sie erleben die Folgen des Klimawandels und die daraus folgenden Konflikte tagtäglich. Für sie ist „ohne Schweiß kein Preis“ ganz wörtlich zu verstehen. Das Thermometer ist bereits am Anschlag.