6. Juli 2022 Rede von Bundesministerin Svenja Schulze beim Vernetzungstreffen mit deutschen und ukrainischen Kommunen in Berlin
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Teilnehmende,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Bürgermeister und Bürgermeisterinnen,
ich begrüße Sie zu unserem heutigen Austausch, bei dem wir uns aus unterschiedlichen Ländern zusammenschalten: aus der Ukraine, Polen, Österreich, Frankreich und Deutschland. Besonders unsere Partner aus der Ukraine begrüße ich sehr herzlich. Sie schultern vor Ort gerade eine unfassbare Aufgabe, im Kampf für eine freie und demokratische Ukraine.
Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs haben kommunale Partnerschaften dazu beigetragen, ein gespaltenes Europa zu einen. Durch die Zusammenarbeit zwischen den Städten sollte Vertrauen entstehen. Durch den Austausch zwischen ihren Bürgerinnen und Bürgern sollte Freundschaft über Ländergrenzen, Sprachen und politische Systeme hinweg wachsen.
Kommunale Partnerschaften sind daher Ausdruck des europäischen Gedankens. Sie stehen für unsere Bemühungen, ein einiges Europa in Vielfalt aufzubauen! Kommunen sind der Ort, an dem sich Menschen aus allen Ländern treffen. Dort kann der Wunsch wachsen, solidarisch für ein gutes, friedliches Leben für alle zu arbeiten. Starke kommunale Strukturen sorgen für eine höhere Widerstandsfähigkeit und verbessern die Lebensbedingungen der Menschen.
Die Idee eines friedlichen Europas durch Zusammenarbeit der Nationen ist ein wichtiger Ausgangspunkt der kommunalen Entwicklungspolitik in Deutschland.
Beim deutsch-französischen Ministerrat 2006 wurde erstmals ein Pilotprojekt für die entwicklungspolitische Zusammenarbeit von Kommunen vereinbart. Die damalige Entwicklungsministerin, Heidemarie Wieczorek-Zeul, und ihre französische Amtskollegin, Brigitte Giradin, sahen in dem Pilotprojekt mit Burkina Faso die Möglichkeit, gleichzeitig die europäische Zusammenarbeit zu stärken und lokale Beiträge für die Millenniumsziele zu fördern.
Damals wurden von der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt (SKEW) und der Agence Française de Développement acht deutsch-französische Partnerschaften ausgewählt. Heute sind allein in Deutschland mehr als 1.000 Kommunen und über 500 Partnerschaften entwicklungspolitisch engagiert!
Die EU und einige ihrer Mitgliedsstaaten fördern die kommunale Entwicklungspolitik. Ich werde mich dafür einsetzen, die europäische Vernetzung sowie die Förderung durch die EU zu stärken.
Kommunen bringen sich auch in internationale Prozesse und Foren ein, um ihre Interessen zu artikulieren. Und sie gehen Selbstverpflichtungen ein, um eine globale Transformation im Sinne der Agenda 2030 und des Pariser Klimaabkommens zu erreichen.
Anfang Mai haben sich zum Beispiel Oberbürgermeister und Oberbürgermeisterinnen der G7-Staaten bei einem informellen Städtegipfel in ihrer Mayors’ Declaration dazu verpflichtet, globale Solidarität zu leben und als lokale Regierungen für Frieden, Demokratie und Nachhaltigkeit einzustehen.
Diesen Gedanken globaler Solidarität und Friedensförderung haben alle hier versammelten Kommunen eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Sie haben den russischen Krieg in der Ukraine verurteilt. Und stehen solidarisch an der Seite der Ukrainerinnen und Ukrainer, indem sie Menschen auf der Flucht mit offenen Armen aufnehmen und ihre Bürgerinnen und Bürger Spenden für sie sammeln.
Vor allem aber haben Kommunen ihren Partnern in der Ukraine unmittelbar nach Kriegsbeginn Hilfe angeboten. Angebote, die auf die kommunale Entwicklungszusammenarbeit aufbauen:
Städtepartnerschaften waren schon lange in der Ukraine aktiv und haben sich ausgetauscht und unterstützt, wenn es um den Aufbau von lokalen Verwaltungsstrukturen ging. Das Entwicklungsministerium hat 2014 begonnen, intensiv an einer Ausweitung des deutsch-ukrainischen kommunalen Partnerschaftsnetzwerks zu arbeiten. Damit unterstützten wir die Dezentralisierungsreformen in der Ukraine. Ich bin davon überzeugt, dass damit das Fundament für die enorme Hilfsbereitschaft gelegt worden ist.
Derzeit sind 80 Partnerschaften aktiv. Seit Kriegsausbruch haben weitere 41 deutsche Kommunen Interesse angemeldet.
Erste neue Partnerschaftsvereinbarungen wurden bereits geschlossen: Zuletzt haben Köln und Dnipro anlässlich des 11. World Urban Forums im polnischen Katowice ihre neue Partnerschaft bekannt gegeben.
Die Hilfsbereitschaft der Kommunen dieses Netzwerks war unmittelbar und substanziell. Seit Kriegsbeginn wurden über 11,6 Millionen Euro kommunale Eigenmittel mobilisiert, mindestens 12,5 Millionen Euro an Geld- und Sachspenden der Bürgerinnen und Bürger eingesammelt, etwa 140 Hilfstransporte organisiert und über 54.000 Menschen auf der Flucht allein in den Kommunen des Netzwerks registriert.
Konkret heißt das: Beispielsweise hat am Montag die Stadt Dortmund über ihre „kommunale Hilfsbrücke“ zehn Transporter Hilfsgüter und zwei Feuerwehrfahrzeuge plus Maschinen und Werkzeuge an ihre ukrainische Partnerstadt geliefert. Unterstützt wurden sie bei der Übergabe der Güter von polnischen Kolleginnen und Kollegen an der polnisch-ukrainischen Grenze.
Städtepartnerschaften können genau das leisten: partnerschaftlich beim Aufbau kommunaler Strukturen unterstützen und schnelle Hilfe in akuten Notsituationen geben.
Wir sehen, was Sie da leisten! Das Entwicklungsministerium wird sie auch weiterhin unterstützen: durch Austauschforen, Koordinierung und Gelder, wenn sich ihre Mittel nun langsam erschöpfen.
Zumal ein großer Teil der Arbeit noch vor uns liegt. Von der Lage habe ich mir auf meiner kürzlich stattgefundenen Reise in die Ukraine selbst ein Bild machen können.
Die Bundesregierung, insbesondere auch das Entwicklungsministerium, arbeitet bereits an konkreten Förderprogrammen, um unsere Partner im Sinne von „Recovering Forward“ auf dem Weg zu einem nachhaltigen und sozial gerechten Wiederaufbau zu unterstützen.
Es freut mich sehr, dass ich heute außerdem bekannt geben darf, dass wir als Entwicklungsministerium weitere fünf Millionen Euro für Klinikpartnerschaften bereitstellen werden. Mit diesen Partnerschaften zwischen deutschen und ukrainischen Krankenhäusern sollen Behandlungen von Kriegsopfern ermöglicht werden. Aus dem Netzwerk der Universitätskliniken in Deutschland. Ziel ist, die medizinischen und psychosozialen Infrastrukturen in der Ukraine durch ein Netzwerk von Krankenhauspartnerschaften langfristig zu stärken.
Ich komme gerade von der internationalen Ukraine-Wiederaufbaukonferenz in Lugano. Der ukrainische Premierminister Shmyhal hat dort den ukrainischen Wiederaufbauplan vorgestellt: Im Mittelpunkt sollten Regionen, Städte und lokale Gemeinschaften stehen. Sie bilden die Grundlage für den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes. Die bisher gemachten Erfahrungen der Kommunen werden ganz wichtig in der praktischen Arbeit sein, wenn es um den Wiederaufbau in der Ukraine geht.
Die Konferenz hat deutlich gemacht: Wir stehen an der Seite der Ukraine, so lange es notwendig ist. Ich werde mich weiter dafür stark machen, dass wir nationale Akteure, internationale und multilaterale Organisationen, nicht-staatliche Akteure stärker vernetzen und zusammenbringen. Das spiegelt sich auch in der Erklärung der G7 wider und in der Abschlusserklärung von Lugano. Wir müssen den Wiederaufbau der Ukraine international gemeinsam schultern!
Entwicklungszusammenarbeit lebt davon, die konkreten Bedarfe mit dem Partner abzustimmen – von Koordination und Kommunikation aller Beteiligten.
Genau diesen offenen Austausch wollen wir in den kommenden Stunden pflegen. Ich bin gespannt darauf, welche Botschaften Sie mir für die zukünftige kommunale Entwicklungspolitik aus den Panels mitgeben.