23. September 2021 Faire und nachhaltige Lieferketten
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Sedlmaier, sehr geehrter Herr Hildebrand,
liebe Mitglieder der Interessengemeinschaft für gesunde Lebensmittel IG FÜR,
sehr geehrte Damen und Herren,
die Diskussion um „wahre Preise“ ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das zeigt allein die Liste der heutigen Teilnehmerinnen und Teilnehmer. – Das ist gut!
Unsere jetzigen Preissysteme sind weder zukunftsfähig noch gerecht. Denn die ökologischen und sozialen Kosten unserer Agrar- und Ernährungssysteme und des globalen Handels stehen auf keinem Preisschild.
Aber unsere Art des Wirtschaftens kostet … :
1. … die Umwelt:
Die Natur ist unser wertvollstes Gut! Aber wir übernutzen sie. Überall auf der Welt werden die die Kosten unseres Konsums sichtbar. Die sogenannten „externen“ Kosten der deutschen Landwirtschaft etwa, wie Luft- und Wasserverschmutzung, Bodendegradation, Verlust der Artenvielfalt, werden auf 40 bis 90 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt. Auch in vielen Entwicklungsländern verlieren Böden Fruchtbarkeit, Wasser wird knapper. Für Äthiopien werden die jährlichen Kosten der Bodendegradation auf 2 bis 4 Milliarden Euro geschätzt.
Daher ist es sehr zu begrüßen, dass einige Staaten und Regionen auf agrarökologische Systeme umsteigen, die natürliche Ressourcen schonen – zum Beispiel Sri Lanka, einige indische Bundesstaaten, Senegal.
2. … die Wirtschaft:
Kurzfristig mag die Ausbeutung von Mensch und Natur Profit bringen. – Langfristig kommt sie uns alle, und vor allem künftige Generationen, teuer zu stehen. Die Kosten des Klimawandels könnten die weltweite Wirtschaftsleistung um 37 Prozent senken. Fast 500 Milliarden Euro jährlich fließen weltweit in Agrarsubventionen. – 87 Prozent davon sind wettbewerbsverzerrend und schaden der Umwelt oder kleinen Unternehmen. Das haben die UN kürzlich errechnet.
Die volkswirtschaftlichen Kosten sind immens: hohe Infrastrukturkosten, etwa für den Transport von Gütern; hohe Gesundheitskosten, zum Beispiel durch Einatmen von Giftstoffen bei Pestiziden und falsche Ernährung; hohe Kosten für Gemeinden und Steuerzahler, etwa weil Umweltschäden beseitigt und Naturräume wiederhergestellt werden müssen.
3. Übernutzung kostet auch … die Gesellschaft:
Nicht-nachhaltiges Wirtschaften geht besonders zu Lasten der Armen: Weil ohnehin knappe Produktionsmittel, wie fruchtbarer Boden oder Wasser, verloren gehen. Weil Kleinbäuerinnen und -bauern sich für teuren Dünger, Saatgut oder Pestizide verschulden müssen. Weil unfaire Löhne und Preise nicht zum Leben reichen: Eine Kakaobauernfamilie in Côte d’Ivoire erwirtschaftet nur etwa ein Drittel eines existenzsichernden Einkommens. Und weil die gesundheitlichen Schäden, zum Beispiel durch übermäßigen Pestizideinsatz, aber auch durch ungesunde Ernährung, vor allem die Armen treffen.
Wir müssen „umpreisen“ – und damit Anreize für mehr Nachhaltigkeit setzen. Ein Umdenken hat bereits begonnen: In jüngerer Zeit gab es einige Studien zum Thema „Wahre Kosten“ – zum Beispiel die „True Cost Accounting“-Initiative, die heute beim Symposium ihre Arbeit vorstellt. Vielen Dank für dieses Engagement. Das BMZ arbeitet mit vielen Partnern dieser innovativen Initiative zusammen.
Werden Umwelt- und soziale Kosten eingepreist, wird der Schutz von Mensch und Natur zum Wettbewerbsvorteil. – Besonders für die Unternehmen, die heute schon nachhaltig produzieren – wie viele hier bei der IG FÜR!
Das deutsche Lieferkettengesetz ist ein Meilenstein. Denn Unternehmen tragen Verantwortung für die Achtung der Menschenrechte in ihrer gesamten Lieferkette– vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Der Umfang der Sorgfaltspflichten im Gesetz ist gestaffelt, je nach Nähe zum Zulieferer. Werden Risiken erkannt, müssen Unternehmen gemeinsam mit ihrem Zulieferer Abhilfe schaffen. Es geht dabei nicht um den Abbruch der Geschäftsbeziehungen. Es gilt der Grundsatz „Befähigung vor Rückzug“. Das ist gerade aus entwicklungspolitischer Sicht wichtig und deswegen im Gesetz verankert!
Jetzt müssen wir auch in der EU weiterkommen: Die EU will ihre Legislativvorschläge zu entwaldungsfreien Lieferketten und zu Sorgfaltspflichten für Menschenrechte und Umwelt bis Ende des Jahres vorlegen.
Unsere Entwicklungszusammenarbeit unterstützt viele Initiativen, um Mensch und Natur in globalen Lieferketten zu schützen. Gemeinsam mit der EU wirken wir auf einen fairen Kakaopreis hin. Kleinbäuerinnen und Kleinbauern sollen von ihrer Arbeit leben können – ohne dass die Kinder mitschuften müssen, und ohne ihre natürlichen Lebensgrundlagen zu zerstören.
Denn wo Natur und Artenvielfalt geschützt werden, nützt das auch der Wirtschaft. Eine Studie im Auftrag des BMZ stellt fest: Mehr als ein Viertel der landwirtschaftlichen Anbaufläche Afrikas profitiert direkt von Naturschutzgebieten – von Bestäubung, lokaler Klimastabilität, Schutz vor Erosion und Versalzung. Mit der Initiative „Grüner Wert“ unterstützen wir deshalb Partnerländer in Afrika dabei, den Wert ihrer Naturschätze auch für Wirtschaft und Entwicklung zu nutzen und zu erhalten.
Das BMZ hat sein Engagement für Agrarökologie verstärkt – zuletzt mit dem „Leuchtturm Agrarökologie Indien“, den meine Kollegin Parlamentarische Staatssekretärin Flachsbarth vor wenigen Tagen mit unseren indischen Partnern vereinbart hat: Weniger Dünger und Pestizide, mehr regionale Kreisläufe und Märkte in lokaler Kultur und Tradition. – Das kommt der Bevölkerung vor Ort, der Umwelt und der Wirtschaft zugute.
Natürlich sind auch wir als Konsumentinnen und Konsumenten gefragt. Die öffentliche Hand geht jetzt voran: Letzte Woche hat die Bundesregierung den Weg frei gemacht, bei der öffentlichen Beschaffung die Klimabilanz eines Produkts einzurechnen. Ein erster wichtiger Schritt! – Und sinnvoll, denn: Fair und nachhaltig produzierte Waren und ein Handelssystem, das solche Nachhaltigkeit fördert, sind langfristig kostengünstiger.
Das Motto der IG FÜR heißt: „Lebensmittel sind Mittel zum Leben“. – Ich meine: Das sollten sie auch für die Produzentinnen und Produzenten am Anfang unserer Lieferketten sein. Tragen wir gemeinsam dazu bei!