22. Juni 2021 Rede von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zu moderner Sklaverei in globalen Lieferketten. Online-Konferenz von missio Aktion Schutzengel
Es gilt das gesprochene Wort!
Es ist mir eine ganz besondere Freude, hier heute zu sprechen.
Dem Wort muss die Tat folgen. Nicht nur reden, sondern handeln, und deshalb geht mein besonderer Dank an das Internationale Katholische Missionswerk missio Aachen, insbesondere an Herrn Pfarrer Dirk Bingener. Überall in der Welt begegne ich Ihren Projekten und den vielen Engagierten. Ihr Einsatz und die Erfolge, die Sie haben, im Kampf gegen Armut, Hunger und Krankheiten, sind großartig. Sie kämpfen für Gerechtigkeit, und ich glaube, entscheidend ist dabei der Schutz der Würde des Menschen. Es sind christliche Werte, die unser Engagement leiten.
Und ebenso beeindruckend sind – Sie haben es in dem eingespielten Film gesehen – Kailash Satyarthi und seine Frau. Der Kampf für die Rechte der Kinder hat Kailashs Leben geprägt. Er ist der große Kämpfer gegen Kinderarbeit und moderne Sklaverei. Er wird uns nachher berichten, inwiefern uns Sklaverei im täglichen Leben begegnet.
Herr Pfarrer Bingener, Sie haben die Sexsklavinnen und -sklaven angesprochen sowie die sexuelle Ausbeutung von Kindern. Die körperliche Ausbeutung, die seelische Ausbeutung, die Abhängigkeit von Kindern und Menschen ohne Rechte. Ich selbst bin den jungen Frauen und Mädchen begegnet, die in vielen Ländern als Hauspersonal arbeiten, oder auch Bauarbeitern und Seefahrern, die ohne Pass und ohne Rechte leben.
Meine Damen und Herren, ich komme gerade aus Westafrika zurück und war dabei unter anderem zu Besuch in Sierra Leone, in Freetown. Ich habe dort das Nationalmuseum besucht, das sich mit dem Thema Sklaverei beschäftigt. Das, was wir unter Sklaverei verstehen, ist die Phase seit Ende des 15. Jahrhunderts bis zum 19. Jahrhundert, wo Millionen von Menschen aus Westafrika nach Amerika, aber auch in andere Länder der Welt verschifft wurden. Freetown wurde um circa 1800 von Sklaven gegründet, die zurückkamen aus Großbritannien. Wir sollten niemals vergessen, was diesen Menschen angetan wurde. Und auch wir Europäer tragen dafür ein großes Stück Verantwortung!
Moderne Sklaverei hat heute andere Gesichter. Auswüchse der Globalisierung sind heute der Menschenhandel mit Kindern, auf den Kailash Satyarthi noch eingehen wird, aber auch die Zwangsprostitution – nicht nur in Entwicklungsländern. Diese Zustände haben wir auch in ganz erheblichem Ausmaß in Deutschland. Ausbeuterischer Kinderarbeit oder dem großen Thema der Rekrutierung von Kindersoldaten bin ich vor allem mit Blick auf den nun seit zehn Jahren wütenden Syrien-Krieg begegnet. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass es 40 Millionen Menschen gibt, die wir als Sklaven bezeichnen, weil sie unter solchen Verhältnissen arbeiten müssen. Jeder Vierte davon ist ein Kind, und mehr als 70 Prozent sind Frauen.
Ich möchte missio herzlich danken, dass Sie dieses Thema heute aufgreifen und Bewusstsein schaffen. Unser Wohlstand in Europa und in Deutschland baut auf der Ausbeutung von Menschen und Natur auf. Das habe ich immer wieder gesagt und es wird auch meine Botschaft bleiben.
Ich habe, lieber Kailash, bei meinem letzten Besuch in Indien die Kinder getroffen, die du befreit hast, deren Augen wieder strahlen. Ich habe aber auch einen Steinbruch besucht und Kinder, die aus einem Steinbruch befreit wurden. Sie schlugen Granit für unsere Grabsteine in Deutschland, in Europa. Ebenso Kinder, die auf Plantagen in Westafrika arbeiten und viele andere Bereiche. Und deshalb war es so wichtig – und da fällt mir wirklich ein großer Stein vom Herzen – dass es uns nach sieben oder acht Jahren gelungen ist, das Lieferkettengesetz in Deutschland auf den Weg zu bringen und zu verabschieden. Das ist ein Durchbruch und ein Meilenstein zur Bekämpfung moderner Sklaverei und der Ausbeutung von Kindern. Deutschland geht hier einen wichtigen Schritt voran als europäisches Land, und dem müssen weitere Schritte folgen.
Ich weiß auch, dass missio und viele, die jetzt zuhören, noch viel mehr wollten in der Gestaltung dieses Gesetzes. Seien Sie versichert, ich auch. Aber wir sind froh, dass wir es geschafft haben, in der vorletzten Sitzung des Bundestages gegen härteste Widerstände dieses Gesetz durchzubringen. Es wird seinen Weg gehen und wir brauchen natürlich in einem zweiten Schritt eine europäische Regelung. Und wir brauchen in einem dritten Schritt – lieber Kailash, wir haben uns darüber unterhalten – eine Regelung, die den Welthandel vom freien zum fairen Welthandel weiterentwickelt und Standards für den Schutz der Menschenwürde der Arbeiterinnen und Arbeiter verankert. Es darf nicht sein, dass nur Geld den Handel der Welt bewegt, ohne Rücksicht auf die Rechte von Kindern und Menschen.
Ich habe dieses Thema mit der neuen Chefin der Welthandelsorganisation WTO [World Trade Organization] aus Nigeria, Dr. Ngozi Okonjo-Iweala, besprochen und ich bin da guter Hoffnung, dass wir weiter vorankommen werden. Aber an alle, die jetzt zuhören, kann ich nur sagen, dem Wort muss die Tat folgen, und wir müssen lauter werden. Wir müssen stärker werden. Wir, die weltweite Community im Kampf für die Rechte der Unterdrückten. Und dazu soll diese Konferenz beitragen.
Ich habe jetzt wieder aktuell auf meiner Westafrika-Reise gesehen, dass die Pandemie die Lage der Menschenrechte weltweit verschärft hat und am härtesten die Kinder trifft. Über eine Milliarde Kinder und Jugendliche konnten und können im Zeitalter dieser Pandemie nicht zur Schule gehen. Die Schulbildung fällt weg und damit auch der Schritt in eine gute Zukunft, eine berufliche Ausbildung und vieles mehr.
Wir brauchen eine gerechtere Globalisierung. Die Globalisierung hat uns in den Industriestaaten viel Wohlstand gebracht und wir müssen ein Stück davon zurückgeben. Wir müssen neu teilen lernen. Es geht um die Umsetzung der Agenda 2030: „Leave no one behind“. Deshalb müssen wir gerade jetzt – ja, wir stecken noch mittendrin in der Corona-Zeit – den Weg mit unserer Entwicklungsarbeit fortsetzen. In Afrika nimmt diese Pandemie im Augenblick gerade erst Fahrt auf und durch die Lockdowns hat es viele Familien sehr hart getroffen. Die Rechte von Kindern zu schützen, das ist wertebasierte Entwicklungspolitik. Aber wir müssen auch an den Ursachen ansetzen. Zu diesen gehören Armut und Hunger sowie ein fehlender Zugang zu Bildung.
Lieber Kailash Satyarthi, liebe Verantwortlichen, Herr Pfarrer Bingener: missio ist eine starke Stimme in der Welt. Sie haben starke Persönlichkeiten, die in der Welt für diese Werte stehen und kämpfen. Menschen, die das Thema Gerechtigkeit, gerechte Globalisierung, den Ausgleich zwischen Reich und Arm bearbeiten. Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts. Wir müssen die Sklaverei beenden und alle Formen von Kinderarbeit beseitigen. Dazu können wir alle beitragen.
„Den Worten müssen Taten folgen.“ Nicht nur fordern und mit dem Finger auf andere zeigen, wie auf die Politik oder die Wirtschaft, sondern bei dir, bei mir selbst anfangen, indem wir handeln. Beispielsweise beim täglichen Einkauf. Kailash hat ein Siegel für nachhaltige Teppichproduktion entwickelt. Wir haben ein Siegel für nachhaltige Textilproduktion ohne Kinderarbeit und mit fairen Löhnen entwickelt, welches sich „Grüner Knopf“ nennt. Der Marktanteil liegt bei einem oder zwei Prozent. Warum nicht bei 20 oder 50 Prozent? Warum ist Geiz geil? Warum ist billig der Trend und nicht Verantwortung und Nachhaltigkeit? Jeden Tag bestimmen auch Sie durch ihre täglichen Entscheidungen mit und können dem Wort auch die Tat folgen lassen. Das gilt auch für die vielen Institutionen und Einrichtungen, die uns heute zuschauen: missio, katholische Krankenhäuser, Altenheime und Kindergärten. Die Umstellung auf faire Beschaffung, bei der Bettwäsche angefangen und bei den Nahrungsmitteln fortgesetzt, würde ein deutliches Zeichen setzen und helfen. Also lassen wir gemeinsam – lieber Pfarrer Bingener, alle, die heute zuhören – dem Wort auch die Tat folgen.
Vielen herzlichen Dank!