25. Februar 2019 „Klimaschutz, Nachhaltigkeit und Solidarität – aktuelle Anforderungen an die Entwicklungszusammenarbeit“
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrte Damen und Herren,
vor genau 75 Jahren erlebte Augsburg die schlimmsten Bombennächte des Zweiten Weltkriegs. 80.000 Menschen mussten damals fliehen. Heute ist die Stadt lebendig, aktiv und engagiert: für Frieden, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit. Wie Sie beim Verein „Augsburg International“!
Augsburg ist Vorbild: 2015 wurde Augsburg mit dem Sonderpreis Hauptstadt Fairer Handel ausgezeichnet, unter anderem wegen der fairen Augsburger Stadtschokolade. Im Oktober 2018 haben Sie hier die Weltkonferenz für freiwilliges Engagement mit 1.000 Teilnehmenden ausgerichtet, im November die Nachhaltigkeitstagung deutscher Kommunen. Sie wissen: Herausforderungen in anderen Teilen der Welt, die wir nicht gemeinsam lösen, können schnell auch zu Herausforderungen für uns werden.
Krisen und Kriege gibt es unzählige: Gewalt, Not und Vertreibung im Jemen, im Südsudan. Venezuela ist in Aufruhr, Hunderttausende Rohingyas hausen in Notunterkünften in Bangladesch.
Wir müssen gemeinsam Lösungen finden! Das bringt uns weiter als Alleingänge. Ob heute die „Agenda 2030“ noch eine Chance hätte? – Sie ist ein großartiger Welt-Zukunftsvertrag.
Wir brauchen Kooperation und Solidarität für die großen Zukunftsfragen der Menschheit: Klimawandel, Ernährung, globale Teilhabe. Entwicklungs-, Klima- und Handelspolitik sind deshalb Teil einer umfassenden Sicherheits- und Friedenspolitik. Das hat Bundeskanzlerin Merkel kürzlich bei der Münchner Sicherheitskonferenz bekräftigt.
Unser Ansatz in der Entwicklungszusammenarbeit lautet: Wir wollen langfristige Entwicklung ermöglichen. Fünf globale Trends bestimmen den Rahmen:
- Erstens: Das Wachstum der Weltbevölkerung, 90 Prozent davon findet in Entwicklungsländern statt.
- Zweitens: Der Klimawandel und die zunehmende Ressourcenknappheit: Nahrung, Wasser, Energie für zehn Milliarden Menschen im Jahr 2050 – das allein ist eine riesige Herausforderung. Und es gibt Rückschläge im Kampf gegen Hunger: Die Zahl der Hungernden ist heute wieder so hoch wie vor zehn Jahren, über 820 Millionen Menschen.
- Drittens: Die Globalisierung. Die Welt ist vernetzt wie nie, über Waren, Information, Dienstleistungen.
- Viertens: Die weltweiten Migrations- und Flüchtlingsströme: fast 70 Millionen Menschen sind auf der Flucht, das ist ein Rekordhoch!
- Und fünftens, die Digitalisierung: Sie bringt riesige Chancen für Entwicklungssprünge – aber auch globale Herausforderungen.
Auf all diese Trends muss Entwicklungspolitik reagieren. Und nicht nur die Entwicklungspolitik. Wirtschafts-, Agrar-, Handels-, Klimapolitik müssen global Verantwortung übernehmen.
Wir müssen die Globalisierung gerecht gestalten: Ausbeutung von Mensch und Natur stoppen; Klimaschutz voranbringen und Flüchtlingen helfen und Perspektiven schaffen.
Menschenwürdige Arbeit weltweit durchsetzen: Das ist die soziale Frage des 21. Jahrhunderts!
Dumpinglöhne, Zwangsarbeit, Kinderarbeit sind in vielen Ländern bittere Realität. Hier im Textilmuseum Augsburg ist übrigens zu sehen, wie das in Europa im 19. Jahrhundert aussah, und schließlich zur Revolution führte.
Wir brauchen Fairness in globalen Lieferketten! – Für eine halbe Milliarde Menschen, die in globale Lieferketten eingebunden sind. Denn am Anfang steht immer ein Mensch, der von seiner Arbeit leben muss.
Jedes zehnte Kind auf der Welt muss arbeiten. Knapp die Hälfte von ihnen, etwa 70 Millionen, unter ausbeuterischen Bedingungen. Kein deutsches Unternehmen darf das dulden. Wir dürfen nicht zulassen, dass unser Wohlstand mit der Armut anderer erkauft ist!
2019 soll das Jahr der Menschenrechte sein. Standards müssen endlich Standard werden.
Freiwillige Bündnisse haben Fortschritt gebracht, zum Beispiel das Forum Nachhaltiger Kakao. 2011 waren wir bei drei Prozent zertifiziertem Kakao, heute sind wir bei 55 Prozent. Das Ziel sind 100 Prozent.
Auch das Bündnis für nachhaltige Textilien hat Erfolge gebracht. 50 Prozent der deutschen Textilbranche sind dabei. Sie haben Verbesserungen bei Umwelt- und Arbeitsschutz umgesetzt, unter anderem haben die Unternehmen 160 giftige Chemikalien aus ihrer Produktion verbannt.
Der Nationale Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte setzt zunächst auf Freiwilligkeit. 2019 wird zeigen, ob dieser Ansatz trägt! Unternehmen über 500 Mitarbeiter müssen jetzt zeigen, wie ernst sie ihre menschenrechtliche Sorgfaltspflicht nehmen.
Wenn Freiwilligkeit nicht funktioniert, brauchen wir gesetzliche Regelungen. Viele Unternehmen fordern selbst mehr Verbindlichkeit, gleiche Spielregeln für alle! Einige Länder haben solche Gesetze schon. Deutschland sollte zu den Vorreitern gehören!
Aber auch wir Konsumentinnen und Konsumenten müssen Verantwortung übernehmen. Wenn Bananen bei uns unter einen Euro das Kilo kosten, weiß ich: den wahren Preis bezahlt jemand anders – zum Beispiel Kinder in Ecuador, die auf den Plantagen schuften. Fragen Sie nach, greifen Sie nach Zertifiziertem!
Vergessen wir auch die enorme Nachfragemacht der öffentlichen Hand nicht. Das sind 350 Milliarden Euro jährlich. Öffentliche Beschaffung muss konsequenter Vorreiter werden und Menschenrechtskriterien beachten.
Global denken – lokal und global handeln! Das gilt auch beim Klimaschutz:
Klimaschutz ist Überlebensfrage der Menschheit!
Der Klimawandel ist schon Realität – die Treibhausgase sind auf Rekordhoch: 32,5 Milliarden Tonnen; die Artenvielfalt schwindet – über die Hälfte aller Tier- und Pflanzenarten sind schon ausgestorben, gerade kürzlich sogar das erste Säugetier. Die natürlichen Ressourcen unserer Erde sind übernutzt.
Wenn wir nicht gegensteuern, drohen 100 Millionen Menschen in den nächsten zehn Jahren zu verarmen, 140 Millionen Menschen könnten bis 2050 in Entwicklungsländern ihr Zuhause verlieren, es wird noch mehr Wetterkatastrophen geben, Dürren, Ernteausfälle.
Wir müssen das Klimaabkommen von Paris umsetzen! Sonst ist das Zwei-Grad-Ziel nicht zu erreichen. Nur 17 von 184 Ländern sind auf Kurs. Auch Deutschland liegt hinter den Vorgaben.
Entscheiden wird sich die Klimafrage allerdings in Entwicklungs- und Schwellenländern. Eine Milliarde Menschen dort haben noch keinen Strom, deshalb werden geschätzte neun von zehn geplanten Kohlekraftwerken in Entwicklungsländern gebaut werden, die Bevölkerung wächst, Afrika wird sich verdoppeln. Für all diese Menschen brauchen wir 50 Prozent mehr Nahrung, und eine weltweit wachsende Mittelschicht fordert Konsum und Mobilität.
Doch das enthebt uns in den Industrieländern nicht der Verantwortung. – Im Gegenteil! Die reichsten zehn Prozent der Weltbevölkerung verantworten 50 Prozent der CO2-Emissionen. Der Pro-Kopf-Ausstoß in Deutschland ist zehn Mal so hoch wie in Bangladesch, und sogar 100 Mal so hoch wie in Malawi. Die Zeit drängt – in vielen unserer Partnerländer findet Klimawandel bereits statt. In Somalia hat mir ein Bauer gesagt: Ihr sorgt euch, weil es drei Monate lang nicht regnet. Bei uns hat es seit drei Jahren keinen einzigen Tropfen gegeben. Weggespülte Küsten, Tropenstürme, Dürren treffen vor allem Entwicklungsländer.
Wir stehen in der Verantwortung. Wir müssen Entwicklungsländer unterstützen, sich klimaverträglich zu entwickeln und sich gleichzeitig an die Folgen des Klimawandels anzupassen.
Darum treiben wir klimafreundliche Entwicklung voran, etwa mit klimagerechter Landwirtschaft und Waldschutz: 60 Millionen Hektar Tropenwald stehen schon unter Schutz. Oder mit neuen Initiativen für nachhaltige Städte, zum Beispiel 'Moving Rwanda' in Kigali. Wir fördern die globale Energiewende, zum Beispiel in Indien, Marokko, Sambia. Dort habe ich kürzlich ein Solarkraftwerk eröffnet, das in Kooperation mit bayerischen Unternehmen erbaut wurde. Afrika könnte der Grüne Kontinent werden!
In der NDC-Partnerschaft teilen wir unser Know-how und helfen so, die nationalen Klimabeiträge (Nationally Determined Contributions, NDCs) in Haushalts-, Agrar-, Energiepolitik unserer Partnerländer umzusetzen. 116 Mitglieder hat die Partnerschaft schon. Zudem fördern wir Klima-Risiko-Versicherungen, die helfen, Katastrophen zu überstehen. In den letzten Jahren wurden schon 200 Millionen US-Dollar ausgezahlt.
Deutschland übernimmt Verantwortung, auch finanziell. In der Europäischen Union sind wir Spitzenreiter bei den internationalen Klimageldern.
Aber allein mit öffentlichen Geldern ist das Klimaproblem nicht zu lösen. Deshalb habe ich die „Allianz für Entwicklung und Klima“ ins Leben gerufen. Bald 200 Unternehmen, Institutionen und Organisationen stellen sich klimaneutral. Aus Bayern sind unter anderem mit dabei: Munich Re, Sparkasse Augsburg, BayWa. So mobilisieren wir zusätzliche, freiwillige Mittel für Klimaschutz in unseren Partnerländern. Zu einer gerechten Globalisierung gehört auch:
Jeder Mensch braucht eine Zukunft
Sonst sind Probleme in Entwicklungsländern bald auch unsere. 68 Millionen Menschen sind heute auf der Flucht, 85 Prozent finden Aufnahme in armen Ländern. 140 Millionen Menschen könnten bis 2050 wegen des Klimawandels ihr Zuhause verlieren. Selbst wenn nur ein Bruchteil nach Europa käme, wären es deutlich mehr als 2015.
Flüchtlingspolitik beginnt in den Herkunftsländern. Im Irak kostet die Versorgung eines Geflüchteten 50 Cent, in Deutschland 50 Euro pro Tag. Mit unserem Beschäftigungsprogramm Cash for Work bieten wir Einkommen und Chancen, mit Ausbildung von Lehrern für zwei Millionen syrische Flüchtlingskinder verhindern wir eine verlorene Generation.
Entwicklungspolitik hilft Perspektiven schaffen, mit Bildung und Ausbildung, mit Anreizen für Investitionen – denn neun von zehn Arbeitsplätzen schafft die Privatwirtschaft.
Die Globalisierung macht deutlich: Unsere Zukunft hängt auch von der Zukunft der Menschen in anderen Teilen der Welt ab. Unser Wohlstand vom Wohlstand anderswo.
Saubere Luft, genug zu essen, Aussicht auf eine bessere Zukunft – das sind globale Fragen. Ausbeutung von Mensch und Natur, damit wir hier billig einkaufen können, das können wir uns nicht mehr leisten.
Globalisierung gerecht gestalten, das heißt globale Herausforderungen gemeinsam angehen, Verantwortung übernehmen: gegenüber kommenden Generationen und gegenüber denen, die heute schon leiden. Und dazu kann jeder beitragen – mit seinem Konsum, seiner Art zu reisen, zu essen, sich fortzubewegen.
Für eine gerechte Welt tragen alle Verantwortung: Politik, Wirtschaft, Gesellschaft. Ich. Und Sie!