16. Mai 2018 Rede von Bundesentwicklungsminister Gerd Müller zum Haushaltsgesetz 2018
Es gilt das gesprochene Wort!
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Eine Videoaufzeichnung der Rede finden Sie hier (Externer Link).
Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Die Verteidigungspolitiker hätten dableiben dürfen, denn durch erfolgreiche Entwicklungszusammenarbeit können wir Kriege und Krisen verhindern. Es geht um den vernetzten Ansatz in der Außen-, Verteidigungs- und Entwicklungspolitik.
Die Entwicklungspolitik hat heute einen vollkommen neuen Stellenwert erhalten. Unser Haushalt wächst 2018 um 10,5 Prozent. Wir haben die Marke von 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens erreicht, und dafür bin ich dem Finanzminister, der Kanzlerin, der SPD-Parteivorsitzenden, die gerade rausgeht, und dem Parlament sehr dankbar. Wir können damit eine Menge zusätzlich tun, Probleme vor Ort lösen, etwa in den Krisengebieten um Syrien.
Ich war vor kurzem zusammen mit Herrn Grübel und anderen Kolleginnen und Kollegen in Mossul. Wenn man durch die Stadt fährt, dann sieht man Zerstörung wie im Weltkrieg. Das kennt unsere Generation nicht live, aber von Bildern aus Berlin und aus Dresden.
In Mossul, in dieser total zerstörten Stadt, haben wir Bagger gesehen. Ich habe gefragt: Was passiert hier? Die Antwort war: Wir – unsere Partner – bauen ein Notfallkrankenhaus aus Containern auf. Durch die Trümmer der Stadt verläuft eine grüne Hartgummileitung. Es handelt sich um eine mit deutschen Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gebaute Wasserleitung, durch die eine Million Rückkehrer mit Wasser versorgt werden. Die Menschen stehen an den Trinkwasserhähnen und holen mit Kübeln Wasser. Wir können ein Stück stolz darauf sein, was geleistet wird.
Alle, die Entwicklungshilfe konditionieren wollen, alle, die dorthin zurückführen wollen, wo abgelehnte Asylbewerber nicht zurückgenommen werden, frage ich: Soll ich den Kindern den Wasserhahn zusperren? Dadurch würde keine einzige Person mehr in den Irak zurückkehren. Im Übrigen ist das Aufgabe der Länderinnenminister. Wir haben mit dem Irak nicht einmal ein Rückführungsabkommen.
Ich möchte keinen Zweifel daran lassen: Alle Partnerländer sind zur Kooperation verpflichtet, und sie kooperieren auch. Aber jeder erledigt seine Aufgabe für seinen Bereich: der Außenminister, die Länderinnenminister und der Entwicklungsminister.
Unsere Partner vor Ort sind großartig; ich muss das einfach sagen. Ich bin letzte Woche mit Bürgermeistern aus dem Libanon zusammengetroffen. Dieser kleine Libanon mit 4,5 Millionen Einwohnern hat 1,5 Millionen Flüchtlinge aufgenommen. 1,5 Millionen Flüchtlinge! Es gibt dort Städte mit 30.000 Einwohnern, die 60.000 Flüchtlinge aufgenommen haben. Unsere erfolgreiche Arbeit und der Mitteleinsatz führen dazu, dass die Menschen vor Ort eine Perspektive haben. Die Menschen wollen auch wieder zurück nach Syrien. Das ist die kommende Aufgabe. Dies ist möglich.
Die Menschen wollen hoffentlich auch bald wieder zurück in den Irak. Jeder Cent schafft Zukunft und gibt den Menschen vor Ort Hoffnung. Ich möchte auf den Punkt bringen, wie genau die Arbeit vor Ort abläuft, denn viele wissen das nicht, was ich aber niemandem zum Vorwurf mache. Überlegen Sie mal: Die Familien, die ich im Flüchtlingscamp besucht habe, leben von 50 Cent am Tag. Das ist die Ration, die wir über das Ernährungsprogramm gemeinsam mit dem Außenministerium finanzieren. Das ist die Basis für die Grundversorgung. Eine Mutter hat 50 Cent am Tag zur Verfügung, um ihre Familie zu ernähren. Das sind 15 Euro pro Monat und 180 Euro im Jahr, mit denen wir Leben retten, indem wir die Menschen versorgen. Ich möchte nicht, dass unser Beitrag zurückgefahren wird, denn wir dürfen die Menschen vor Ort nicht im Stich lassen.
Über die aktuelle Krisenarbeit hinaus haben wir in den letzten vier Jahren den Haushaltsaufwuchs zu zwei Dritteln genutzt, um uns auf Hilfe in den Regionen zu konzentrieren und für Strukturen zu sorgen. Dazu gehören auch afrikanische Krisenregionen, zum Beispiel die Dürreregionen Äthiopien, Somalia, Südsudan und viele mehr.
Wir müssen unsere Arbeit verstetigen. Wir müssen Entwicklungspolitik als langfristige und grundsätzliche Aufgabe begreifen, nicht nur einmal rein ins Land und dann wieder raus. Deshalb bitte ich die Kolleginnen und Kollegen, dafür zu sorgen, dass der Haushalt 2019 die Vorgaben des Koalitionsvertrages erfüllt und wir ihn gemeinsam umsetzen.
Das heißt, ein Absinken der ODA-Quote unter das jetzt erreichte Ziel von 0,5 Prozent des Bruttonationaleinkommens muss verhindert werden. Dazu brauchen die ODA-Ministerien zusammen eine Verstärkungsmilliarde. Damit können wir den weiter wachsenden Mehrbedarf in den Krisenregionen abdecken. Das bedeutet, dass wir das Programm „Perspektive Heimat“ finanzieren, den Marshallplan anfinanzieren und unsere Verpflichtungen in den Krisenregionen erfüllen. Wenn das nicht passiert, sondern der Haushaltsetat abgesenkt wird, dann müssen auch die Mittel für die Programme vor Ort gekürzt werden. Das muss jeder wissen. In den nächsten Wochen werden wir darüber diskutieren. Ich glaube, der Haushaltsspielraum lässt es zu, dass wir mindestens die Quote von 0,5 Prozent halten und die 0,7-Prozent-Quote im Blick behalten.
In 80 Partnerländern in der Welt arbeiten wir mit vielen Tausenden zivilen Experten zusammen für eine Welt ohne Hunger. Damit erzielen wir langfristige Wirkungen. In den letzten 20 Jahren konnte die Zahl der Hungernden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl halbiert werden. Ich sage: Eine Welt ohne Hunger ist möglich. Sie wissen das; ich habe das mehrfach ausgeführt. Wir arbeiten für ein Recht auf Leben in Würde für alle, für die Achtung der Menschenrechte, für Gleichberechtigung und Toleranz. Jeder Mensch auf dem Planeten hat ein Recht auf Leben in Würde. Wir, die Starken, haben eine besondere Verpflichtung gegenüber den Armen und den Schwachen in den Entwicklungsländern.
Ich setze in den nächsten Jahren ganz besonders auf Bildung, auf Ausbildung. 25 Prozent des Etats – das ist mein Ziel – fließen unter anderem in eine neue Sonderinitiative „Ausbildung und Beschäftigung“. Eine Überlebensfrage der Menschheit ist die Sicherung der Ernährung für eine steigende Weltbevölkerungszahl. Die Bevölkerung Afrikas wird sich in den nächsten 30 Jahren verdoppeln. Die Menschen brauchen Ernährung – es ist möglich, das sicherzustellen –, Energie, aber auch Jobs, Arbeitsplätze. Allein auf dem afrikanischen Kontinent werden jedes Jahr 20 Millionen Arbeitsplätze zusätzlich benötigt. In 20 Jahren sind das 400 Millionen Arbeitsplätze. Unser Ziel muss es sein, hier einen Beitrag zu leisten, nicht nur mit öffentlichen Geldern, sondern auch mit einem Investitionsgesetz zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung, mit privaten Investitionen und mit fairen Handelsstrukturen. Diese Themen werden wir in den nächsten Monaten angehen.
Wir brauchen neue Antworten. Damit möchte ich klarmachen: Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung ist heute ein politisches Querschnittsthema. Wir brauchen neue Antworten in der Wirtschafts- und Handelspolitik, neue Antworten in der Umwelt- und Klimapolitik, neue Antworten in der Agrar- und Sozialpolitik, neue Antworten in der Außen- und Sicherheitspolitik. In all diesen Bereichen muss angesichts der neuen Herausforderungen Entwicklungspolitik betrieben werden.
Ich sage aber auch: Beginnen wir zu Hause, zum Beispiel im Bundestag und in den Ministerien. Stellen wir den Bundestag mit seiner Verwaltung und alle Ministerien in Deutschland, auch die Länderministerien, klimaneutral auf. Fangen wir bei uns an. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung wird das erste Ministerium sein, das sich klimaneutral aufstellt, und zwar im kommenden Jahr. Auch beim Thema „faire Beschaffung“ liegen wir im öffentlichen Dienst weit hinter unseren Vorgaben zurück.
Ich nenne noch die Themen, um die es in den nächsten Monaten gehen wird: Nehmen wir den Nationalen Aktionsplan Wirtschaft und Menschenrechte ernst. Wir helfen den Entwicklungsländern am allerbesten, indem wir die Globalisierung gerecht gestalten. Damit bin ich beim Thema Lieferketten. Wir müssen die Lieferketten zertifizieren und sozial-ökologische Mindeststandards verbindlich machen. Wer das als Schnapsidee bezeichnet, der hat es nicht begriffen: Menschenrechte müssen weltweit gelten. Keine Kinderausbeutung für unsere Kleider!
Zu Ihrer Frage, Herr Frohnwein: Jeder hat seine Hausaufgaben zu machen. Ich bin nicht für Abschiebungen zuständig. Zu meinem großen Erstaunen – ich habe mir das einmal angeschaut – befindet sich unter den Top-Zehn-Ländern der abgelehnten Asylbewerber mit Status „ohne Duldung“ nur ein afrikanisches Land. Das ist ganz erstaunlich. Ganz oben ist Serbien, da ist der Kosovo, und da ist Albanien. Das sind Heranführungsländer, die in die Europäische Union wollen. Ich sehe keinen Grund, warum diese Menschen nicht im Rahmen von Programmen – ein solches Programm werde ich auflegen – zurückgehen sollten, wenn sie hier keine Chance haben. Das ist aber zunächst einmal keine Herausforderung für Entwicklungsländer.
Was Tunesien und Marokko betrifft, kann ich Ihnen sagen: Die Tunesier und die Marokkaner haben biometrische Daten. Ich habe mit den Innenministern dort gesprochen, und sie sagten zu mir: Wenn wir einen Tunesier zurücknehmen sollen, dann muss es auch ein Tunesier sein. Aber die Länderinnenminister können die Identifizierung der hier Angekommenen bis heute nicht definitiv sicherstellen. Wir haben diese biometrischen Daten bisher nämlich nicht.
Das ist nicht Aufgabe des Entwicklungsministers. Aber ich sage Ihnen klar: Ich arbeite mit dem Bundesinnenminister sehr, sehr gut zusammen. Wir werden insbesondere im Rahmen des Programms „Perspektive Heimat“ Möglichkeiten und Anreize bieten, um dafür zu sorgen, dass Menschen aus Deutschland nicht als Loser zurückkehren, sondern in Beschäftigungs- und Ausbildungsprogramme integriert werden. Ich glaube, das kann ein erfolgreicher Ansatz werden.
Es gäbe noch viele wichtige Themen, die wir gemeinsam erörtern müssen. Ich darf abschließend, weil ich sonst zu sehr überziehe, den Blick nach Europa richten. Diese Herausforderung können wir nicht national und allein bewältigen. Wir brauchen die europäische Komponente. Wir brauchen eine Europäisierung der Afrika-Politik. Wenn ich mir den jetzt vorgelegten Haushaltsansatz aus Brüssel ansehe, muss ich sagen: Das ist die Struktur der 80er Jahre. Wir geben in der kommenden Siebenjahresperiode 420 Milliarden Euro für die europäische Landwirtschaft aus, und 42 Milliarden Euro sind für die Afrika- und Entwicklungspolitik vorgesehen. Das wird den Zukunftsherausforderungen nicht gerecht. Das ist keine Antwort.
Lassen Sie mich zum Schluss einen Finanzierungsvorschlag machen. Aus den Reihen der SPD gab es vor einigen Jahren ein Gutachten. Ich habe heute – da verrate ich nicht zu viel – mit dem Finanzminister darüber gesprochen. Führen wir doch in Europa die Finanztransaktionsteuer ein: 0,01 Prozent auf spekulative Anlagen im Hochgeschwindigkeitshandel. Ja, machen wir uns dafür stark. Das bringt 60 Milliarden Euro in den europäischen Haushalt, und die setzen wir dann für eine zukunftsbezogene Entwicklungs- und Afrika-Politik ein. Dann muss kein Mensch in Deutschland dafür bluten.
Zum Schluss: Wir bleiben optimistisch. Großartige Menschen, Kirchen und Organisationen haben sich unserer Aufgabe verschrieben. Ihnen möchte ich ganz herzlich danken. Jeder Euro für die Entwicklungszusammenarbeit schafft Lebens- und Berufsperspektiven, Frieden und Zukunft.